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berührten, fertigt. Vollständig getrennt von der Hofkanzlei war die Kanzlei der Hofkammer, die nur in Verbindung mit dieser stand. Diese Organisation erhielt sich während der ganzen ferdinandischen Zeit.

Die Ordnungen des Jahres 1527 erhielten noch unter Ferdinand I. einige Abänderungen. Die wichtigste und bedeutendste Änderung erstreckte sich auf das Kanzleramt. Im Jahre 1538 verschwindet der supremus cancellarius. Das Hauptgeschäft führt von nun an ein königlicher Vizekanzler, und, als Ferdinand I. zur kaiserlichen Würde gelangte, der Reichsvizekanzler (Reichshofvizekanzler). Ferdinand I. begann sich mehr und mehr als deutscher König und Kaiser zu fühlen. Diese Auffassung zeigt sich deutlich in der Reichshofkanzleiordnung von 1559, die zwischen ihm und dem Erzbischof von Mainz auf dem Reichstag von Augsburg vereinbart wurde, der noch vor der Proklamierung Ferdinands I. zum Kaiser mit dem Streben hervorgetreten war, seine zur Zeit papierenen Rechte der Bestellung des Reichsvizekanzlers als seines Stellvertreters in der Reichskanzlei wieder zu tatsächlicher Wirksamkeit zu beleben.

Das Resultat dieser in Augsburg gepflogenen Verhandlungen liegt in den zwei großen Ordnungen des Jahres 1559 vor, der Reichshofratsordnung vom 3. April und der Reichhofkanzleiordnung vom 1. Juni 1559. Der Erzbischof von Mainz hatte damit recht Bedeutendes erreicht: das Präsidium des kaiserlichen Reichshofrates und die persönliche Leitung der nunmehr zu einer für Reich und Erblande gemeinsamen Behörde umgeschaffenen Reichshofkanzlei im Falle seiner persönlichen Anwesenheit und neuerlich das Recht der Ernennung nicht bloß des ihn vertretenden Reichsvizekanzlers, das ihm unter der Regierung Karls V. entfremdet worden war, sondern auch der anderen Beamten der Reichshofkanzlei, das aber doch nur mit Zustimmung des Kaisers. Mit dem Tode des Kaisers wurde die Reichskanzlei ebenso wie der Hofrat geschlossen, die Funktionen des Reichsvizekanzlers als Chefs der Reichskanzlei hörten auf. Die Reichssiegel nahm der Vizekanzler, der die österreichischen Kanzleigeschäfte während des Interregnums fortgeführt zu haben scheint, an sich, die Reichsregistratur wurde geschlossen, die ausständigen Akten wurden eingefordert. Die Wiedereröffnung der Kanzlei erfolgte auf kurfürstlichen Befehl.

Die Befugnisse des Reichsvizekanzlers unter Ferdinand I. lassen sich ungefähr so formulieren: er war Vorstand der Kanzlei, soweit es sich um Reichsgeschäfte, österreichische und Hausgeschäfte handelte. Die Patente, die an das Reich und die Erblande erlassen wurden, sind von ihm gezeichnet. Seine Kanzleibeamten schrieben die Protokolle des geheimen Rates. Es ist klar, daß der Vizekanzler in seiner Kanzleitätigkeit von den Sekretären soweit unterstützt wurde, als geringfügige Ein- und Ausläufe gleich durch diese erledigt wurden, ohne ihm vorgelegt zu werden. Die Form der Unterfertigung war das dem Namen des Vizekanzlers vorangesetzte „vidit“ (vt), bei Urkunden in das Reich „vice ac nomine reverendissimi (domini) archicancellarii Moguntini“, in späterer Zeit auch anstatt der Kurfürsten von Köln oder Trier, wenn sich der Kaiser in den Ländern befand, deren Erzkanzler sie waren. Urkunden in die Erblande und die auswärtige Korrespondenz zeichnete er ohne jeden Zusatz. In der Regel sind erbländische Patente nur dann von den Vizekanzlern gefertigt worden, wenn sie sich auf mehrere oder alle Kronländer bezogen. Vom Jahre 1564 an kommen hier die Länder der steirischen und tirolischen Linie überhaupt außer Betracht. Das Kompetenzgebiet der Hofkanzlei in Wien war auf beide Österreich beschränkt. Diese Bedeutung und Stellung behielt der Reichsvizekanzler bis zur Errichtung der geheimen österreichischen Hofkanzlei durch Ferdinand II. bei.

Nach der Reichshofkanzleiordnung Kaiser Ferdinands I. von 1559[1] vollzieht sich das Beurkundungs- und Siegelungsgeschäft in folgender Weise:

1. Die Reichskanzleisekretäre haben auf allen Schriftstücken, die ihnen vom Kaiser, Erz- bez. Vizekanzler zugestellt werden, den Eingang (Tag und Monat) zu notieren.

2. Die so bei ihnen eingegangenen Sachen – viele Sachen gingen durch den Reichsvizekanzler direkt an den Geheimen Rat – bringen die Reichssekretäre an den Reichshofrat.

3. Der vom Reichshofrat gefaßte Beschluß wird von den Sekretären mit Nennung der Räte, die ihn gefaßt, und der Referenten in besondere „Ratsbücher oder Protokolle“ eingetragen.

4. Die Sekretäre haben den Beschluß zu expedieren und zu konzipieren, also das Konzept kanzleistilgemäß herzustellen. Die Sekretäre können sich behufs rascherer Erledigung gegenseitig aushelfen. Für minder wichtige Sachen dürfen sie besonders geschickte und fleißige Kanzleischreiber zuziehen.

5. Die Sekretäre legen das Konzept dem Erz- bez. Vizekanzler vor.

6. Das von dem letzteren mit einem Passierzeichen versehene Konzept wird zum Ingrossieren und zur Reinschrift dem Taxator übergeben.

7. Der Taxator übergibt dieses Konzept den Reichskanzleischreibern mit der Weisung, ob es auf Papier oder Pergament in Reinschrift zu bringen ist.

8. Die Reinschrift wandert zurück an den Sekretär, der sie mit dem Schreiber, ehe sie zu weiterer Behandlung und Besiegelung zum Taxator wieder zurückgebracht wird, kollationiert und sie dann unterschreibt[2].


  1. Gedruckt von Kretschmayr im Archiv f. österr. Gesch. 84, 463–480.
  2. So auch schon in der Kanzleiordnung (Gedr. Posse, Lehre von den Privaturkunden S. 202) [17] aus der Zeit Friedrichs III. 1482–84: Und so die copi ingrossirt und geschriben ist, alsdann sol er (der Sekretär) die mit dem schreiber uberlesen und corrigiern, ehe si zum sigel getragen werden. – Kanzleiordnung Maximilians I. von 1494 Okt. 3 (Posse a. O. 205, 207): [3] Und so solich minuten dermaß besichtigt, underschriben und ingrossirt sein, sollen sie (die secretarien) die mit dem schreiber, der die geschrieben hett, ueberlesen und ob die einichen mangel hetten, [208] zuvor und ehe sie zum siegel getragen werden, corrigirn und mit iren namen vertzeichnen. [5] Item der registrator sȯll gueten vleiß haben, alle brieve, so under anhangenden sigeln außgeen, ordentlich in ein buch mit seiner handt zu registriren oder durch andere, doch uff seinen costen registriren laßen, und so die dermaßen registrirt sein, gen den concepten collationiren, damit in dem register nichts ungerechts erfunden werde. [6] Und sȯll auch uff alle brieve besunder was anhangende insigel hatt, außen zuruck das wortt Registrata und dobey seinen gewonlichen namen und zunamen schreiben. [25] Und was brieve obbemelter weise angeschafft, geschrieben, sȯllen dem taxatori uberantwurt werden, der die zu seinen handen nemen, uns oder unserm cantzler zu versiegeln oder zu secretirn anbringen, und so die gelesen und underschrieben sein, sȯll er die bey sich nemen, den leuthen, dan sie zustuenden, auff außrichtung gepuerlicher tax und belonung volgen laßen. Doch sȯllen der kn mat. angeschaffen sachen vor andern alwegin verfertigt, secretirt oder gesiegelt und nach gestallt der sachen hinweg geordent werden. [26] Und was mit dem großen sigel zu sigeln ist, sȯll uns und das ander unserm cantzler oder dem, der das kleyn sigel oder secret aus unsern bevelh zu yeder zeit haben wurde, zu underschreiben furbracht werden. – Kanzleiordnung von 1498 Sept. 12 (Posse a. O. 209, Seeliger, Erzkanzler 208 und Fellner-Kretschmayr a. O. 2, 48): [2] Item, unser gross sigl, so derselb unsrer neve von Meintz itz praucht, und das missifsigl, so wir von neuem machen lassen wollen, soll man legen in die ratstruhen in ein lade neben dem, darin die anderen zwei sigl und secret ligen. [3] Item, zu demselben ladel, dorein dieselben zwei reichssigel gelegt werden, soll unser neve von Meintz allein den slüssel haben, aber die schlussel der ratstruhen sollen onverendert beleiben. [4] Item, mit denselben zweien reichs- und sunst mit dhainen andern sigln sollen alle hendl des reichs gefertigt werden. [5] Item, mit dem sigl und secret, so wir bisher gepraucht haben und auch in der ratstruhen ligen, sollen durch die, so wir darzu verordnen, und von niemands anderm, allain alle osterrichisch und burgundisch hendel besigelt werden und gefertigt. [6] Item es soll auch kain brieve in des reichs hendeln besigelt werden, er si dann zuvor von unserm lieben neven von Meintz oder seinem verordenten underschriben und gezaichnet.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 207. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0208.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)