Seite:Posse Band 5 0212.jpg

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Die betreffenden Maßregeln der Ordnungen von 1494 und 1498 sind schon während des 14. und 15. Jahrhunderts in Geltung gewesen. Das vom Sekretär entworfene Konzept oder – falls ein solches nicht verfaßt wurde – der schriftliche Beurkundungsbefehl wurde nach Abnahme der Reinschrift, vor oder nach dem Akte der Unterfertigung, der Registratur überliefert, um dem Regest als Vorlage zu dienen. Der Registrator aber hatte nach vollzogener Eintragung Einsicht in das Original zu nehmen, das Regest mit diesem zu vergleichen und die vollzogene Registrierung auf demselben zu vermerken. Diese Handlung wurde teils vor, teils nach der Besiegelung vorgenommen. Zwar erklärt einmal König Sigismund, es werde in seiner Kanzlei kein Majestätsbrief versiegelt, er sei denn vorher gebucht und mit dem Registraturvermerk versehen worden[1], doch ist, wie die bei Gelegenheit der Kontrolle vermerkten Noten der Registraturbücher mitunter besagen, tatsächlich diese Prüfung häufig erst nach der Besiegelung der Originale erfolgt.

Des weiteren ist zu erörtern die Frage der Beteiligung an der Herstellung der Urkunden durch die Parteien, denn die Zahl der von Empfängerhand vollständig außerhalb der Kanzlei geschriebenen Diplome ist nicht unbeträchtlich.

Die Kanzlei überließ der Partei völlig das Schreibgeschäft, indem sie sich lediglich auf die Besiegelung beschränkte und nur noch den Vollziehungsstrich im Handmale des Königs hinzufügte.

Schon im 10. und 11. Jahrhundert sind einzelne Fälle nachweisbar, und man nimmt an, daß die Beteiligung der Empfänger an der Herstellung der Diplome unter den sächsischen Königen häufiger stattfand als unter den beiden ersten Saliern, daß sie aber dann unter Heinrich IV., Heinrich V. und Lothar III. wieder zunahm. Auch für die Stauferzeit fehlen bisher die nötigen Unterlagen. Von den drei dresdner Urkunden Konrads III. rühren zwei von Empfängerhand her. Alle dresdner Urkunden Friedrichs I. und Heinrichs VI. sind bis auf die letzte vom Aussteller geschrieben. Erst seit 1195 bis 1234 überwiegt die Empfängerhand, von 1234 bis Ende der Stauferzeit läßt sich allein nur die Ausstellerhand nachweisen[2].

Mit Recht nehmen daher Tangl und Breßlau eine Schätzung, daß zwei Drittel aller Königsurkunden der Stauferzeit von Empfängerhand angefertigt seien, als „übertrieben“ an[3].

Meistens rührt nur der eigentliche Text der Urkunde oder ein Stück derselben von den Parteien her, während der Kanzlei die Eingangs- und Schlußformeln und natürlich die Besiegelung überlassen blieben. Aber die Kanzlei ging der Partei auch in der Weise an die Hand, daß sie ihr ein mit den Beglaubigungsformeln bereits versehenes Blankett einhändigte, in das sie den Text eintragen durfte, dessen Prüfung dann erst bei der Besiegelung stattfinden mochte[4]. Doch wird man, worauf Wibel (Archiv f. Urkundenforsch. 3, 86) hinweist, die zahlreichen Urkunden, die in Gestalt von Blanketts dem Empfänger zur Ausfüllung überlassen


nicht üblich gewesen. Die Register Sigismunds, Albrechts II. und Friedrichs III. zeigen keine Einteilung nach Sprache oder Besiegelungsart der registrierten Urkunden. Nicht entfernt in der Reichhaltigkeit, die den archivalischen Nachlaß Ruprechts auszeichnet, liegen Register Sigismunds vor. Das einzige der kurzen Regierung Albrechts II. entstammende Register gleicht seiner Anlage nach vollständig denen Sigismunds. Weit umfassender als die Überreste der am Hofe Sigismunds und Albrechts vorgenommenen Buchführung sind die erhaltenen Register Friedrichs III. Für 22 Regierungsjahre sind die Reichsregister vollständig, für die übrige Zeit fehlen sie teilweise: alles in allem hat sich nicht einmal die Hälfte des einstigen Bestandes bis auf unsere Tage erhalten.

  1. Band G. fol. 113 der Reichsregistraturbücher (Wien). Vgl. Mitteil. des österr. Inst. 2, 116.
  2. So berechnet Philippi, unser bester Kenner der Stauferzeit, daß er von den ca. 190 Stücken aus Friedrichs II. Königszeit, die er genauer auf ihre Schrift untersucht hat, etwa 60 in deutscher Schrift gefertigter Diplome nachweisen könne, daß aber von diesen 26 wieder zweifellos von Schreibern der betreffenden Empfänger gefertigt worden sind. Und auch für die Urkunden Heinrichs (VII.) nimmt er an, daß in einer großen, ja wohl der größten Zahl von Fällen die Urkunden der Kanzlei fertig geschrieben zur Prüfung vorgelegt und in dieser nur besiegelt worden sind. Philippi a. O. 20. 47. – Im Hauptstaatsarchiv Dresden befinden sich aus der Zeit von 1154–1245 46 Urkunden, darunter 16 von Empfängerhand. In Betracht kommen hierbei nur die Urkunden aus der Zeit von 1195–1234 (= 39 Stück), da alle Urkunden Friedrichs I. und Heinrichs VI. bis 1195 (= 13 Stück) und die Urkunden Heinrichs (VII.) und Friedrichs II. von 1234 Juli 10 ab (= 7 Stück) von Ausstellerhand herrühren. Daraus ergibt sich, daß die Empfängerhand erst mit der letzten Urkunde Heinrichs VI. von 1195 Okt. 27 (Or. No. 106) einsetzt und bis 1234 das Übergewicht hat, denn von den in Dresden verwahrten 26 Stück dieser Zeit, Urkunden Heinrichs VI., Philipps, Ottos IV., Friedrichs II. und Heinrichs (VII.), sind nur 10 vom Aussteller, dagegen 16 vom Empfänger geschrieben. Alle übrigen Urkunden Friedrichs II. und die eine von Heinrich (VII.) (No. 320) von 1234 ab, rühren ausschließlich von Ausstellerhand her.
  3. In meinem Buche Lehre von den Privaturkunden S. 3 Anm. 1 hatte ich eine Zusammenstellung der Königs- und Kaiserurkunden des Hauptstaatsarchivs Dresden, die von Empfängerhand geschrieben sind, gegeben und zum Schluß bemerkt, daß „betreffs der Urkunden von der Mitte des 12. Jahrhunderts bis zur Mitte des 13. sich erweisen lasse, daß ungefähr zwei Drittel von Empfängerhand geschrieben sind“. Es war daraus nicht mißzuverstehen, daß die ungefähre Schätzung nur auf die dresdner Urkunden der Stauferzeit bezogen werden solle. Und auch Fachleute haben die Sache so aufgefaßt. Da fand ich in den 1903 erschienenen Schrifttafeln Tangls 3 Text S. 44 die Bemerkung: „Die Empfängerausfertigung nimmt fortan auch bei der Königsurkunde einen bis dahin nicht bekannten Umfang an, tritt vollständig konkurrierend neben die Tätigkeit der Reichskanzlei, wenn auch die Schätzung Posses (Lehre von den Privaturkunden S. 3 A. 1), daß von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts zwei Drittel der erhaltenen Königsurkunden von Empfängerhand herrühren, übertrieben sein mag.“ Zu gleicher Zeit wiederholte Tangl in der Zeitschrift für Rechtsgesch. 38 (Germ. Abteil. 25) S. 259 seine Auffassung der von mir oben angeführten Stelle meines Buches dahin: Zwei Drittel aller Königsurkunden von der Mitte des 12. bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts läßt O. Posse von Empfängerhand herrühren. Diese Annahme, gegen deren Richtigkeit ich schon an anderer Stelle meine Bedenken äußerte, wird jetzt durch Erben für die Anfänge Friedrich Barbarossas als viel zu weitgehend widerlegt. In den Jahren 1156–1158 rührt fast die Hälfte aller noch erhaltenen Urkunden allein von dem Diktator des Minus her….
  4. Breßlau a. O. 1, 461. – Meister a. O. 1, 163.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 211. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0212.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)