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Nachzeichnung zu schaffen oder, wenn das Original bereits die Zeichen des Verfalls an sich trug, durch Nachzeichnung dessen Inhalt zu retten.

Da nun, wie gesagt, im Mittelalter der Glaube sehr verbreitet war, daß die Originalität einer Urkunde vorzüglich durch das Siegel der urkundenden Person verbürgt werde, so war es natürlich, daß der Hersteller auch der Nachzeichnung ein Siegel zufügte, die Kopie damit zum Original zu gestalten suchte. War die durch die Nachzeichnung zu rettende Urkunde dem Verfall nahe, so wird vielfach deren echtes Siegel dazu verwandt worden sein. Galt es nur ein Doppelexemplar zu schaffen, so wird man zu einer Nachbildung des echten Siegels geschritten sein, die nach Wissen und Können verschieden ausgefallen ist.

Nur einem vereinzelten Falle begegnen wir, daß man die Nachzeichnung einer Urkunde mit dem von der Vorlage losgelösten Siegel versah und sie zugleich von einem späteren Kaiser beglaubigen ließ[1].

Da sich in den seltensten Fällen wird erkennen lassen, ob die Nachzeichnung für Zwecke der Kopie angefertigt wurde, so wird man jeder von vornherein das größte Mißtrauen entgegenbringen müssen, weil die Unanfechtbarkeit aller formalen Bestandteile, zu denen auch das Siegel gehört, nicht beweist, daß die nachgezeichnete Urkunde der wirklich erfolgten Rechtshandlung ihres Ausstellers in allen Teilen entspricht. Es werden sich bei nur formaler Prüfung solcher Urkunden Interpolationen, Kürzungen, Zusätze u. a. nicht erweisen lassen. Ihre Echtheit kann nur durch Prüfung der formalen Merkmale und die Kritik ihres Inhalts bewiesen werden.

Schwer und nur unter besonders günstigem Umstande wird sich eine gleichzeitige Nachzeichnung, besonders wenn sie mit echtem Siegel versehen ist, als Fälschung erkennen lassen[2].

Mit der Bedeutung der Urkunde als Rechtsmittel hängt eng zusammen, daß ebenso alt, als der Gebrauch derselben auch die Versuche sind, wirklich ausgestellte Urkunden durch Änderungen zu fälschen oder geradezu neue Urkunden zu schmieden, um, was in Wirklichkeit nie stattgefunden hatte, glauben zu machen.

Natürlich mußte dem Fälscher daran gelegen sein den Verdacht einer Fälschung möglichst zu vermeiden, und den Eindruck hervorzurufen, als sei sein Machwerk Original; er mußte sich daher, soweit es seine Kunst und sein Zweck erlaubte, bemühen, seine Vorlage möglichst genau nachzuahmen, gewissermaßen ihre äußeren Merkmale zu kopieren, d. h. also auch die Schrift der Vorlage nachzubilden, was dem einen oder dem andern von den Fälschern manchmal gut gelungen ist[3].

Für sein Machwerk hatte der Fälscher aber auch ein Siegel, den wesentlichsten Bestandteil zum Beweis der Echtheit der Urkunde, nötig. Da hat er zur Beschaffung eines solchen verschiedene Wege eingeschlagen, sei es daß er die Vorlage des echten Siegels beraubte oder deren echtes Siegel durch


  1. Urkunde Kaiser Friedrichs I. für Kloster Kaltenborn. 1179 Aug. 17 (St. 4289 Or. Dresden 4289). Vgl. S. 217.
  2. So St. 348. Vgl. S. 163 Anm. 3.
  3. Sehr charakteristisch ist, worauf Bloch (N. Archiv Bd. 19) aufmerksam macht, die Fälschung von St. 1722. Nach Stumpf waren zwei Originale vorhanden (Staatsarchiv Marburg). In der Tat haben wir nur ein Fragment, das Original von der Hand des G I und eine vollständig besiegelte Nachzeichnung des 11. bis 12. Jahrhunderts. Sie ist in der Fassung unverdächtig, im Inhalt an sich einwandfrei. Erst die Vergleichung mit dem Text des Originals, der bei Schmincke und Ledderhose noch unverstümmelt vorliegt, lehrt, daß eine Fälschung hergestellt worden ist, um unter den Pertinenzien die Worte „cum toto nemore“ einzuschieben. Vgl. S. 225. Vorzügliche für Fälscherzwecke vor 1017 angefertigte Nachzeichnungen sind St. 1046B und 1057 (Or. Dresden 11 und 13), Urkunden Ottos III. für Stift Meißen. Vgl. S. 107. 108. 220. 224. 226f.
    Nachzeichnung von St. 1310 und Fälschung mit einem an zwei Stellen behufs Geltendmachung von Ansprüchen auf dauernden Besitz vom Kloster Seligenstadt gefälschten, im übrigen gleichlautendem Text. Daran das auch an anderen Würzburger Urkunden befindliche gefälschte Siegel, Nachahmung von Heinrich II. (I, Taf. 13, 2). Vgl. S. 108. 109. 185.
    St. 141 (IV, Taf. 78, 5) Otto I. (Mon. Germ. DD 85). Die Mon. Germ. halten das Diplom für eins zweifelhafter Geltung. Es dürfte jedoch, auch schon wegen des Siegels, als Fälschung zu bezeichnen sein. Man hielt das Siegel für identisch mit Otto I. 6 (Taf. 7, 7 und 8, 5). Wie Bild und Umschrift zeigen, ist es eine schlechte Nachbildung. Vgl. S. 105. 164.
    MR 240 (231). Karl der Große. Gutgelungene Nachzeichnung aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts mit nicht echtem Siegel (= I, Taf. 1, 4), mit Wachsknollen auf der Rückseite, der gerade nur durch die Lappen des Kreuzschnittes reicht. Vgl. S. 100.
    MR 556 (537) (II, Taf. 30, 6). Ludwig der Fromme. Nachzeichnung 10. Jahrhundert einer echten Urkunde, mit falschem Siegel nach dem Siegel Ludwigs des Deutschen (I, Taf. 2, 6). Vgl. S. 102.
    MR 1468 (1424) (II, Taf. 52, 14). Ludwig der Deutsche. Nachzeichnung von MR 1467 (1425). Siegel unecht. Nachbildung eines echten Siegels (I, Taf. 2, 8) aus der Zeit von 859–65. Vgl. S. 103.
    MR 1588 (1546) (II, Taf. 32, 2). Karl III. Nachzeichnung 10. Jahrhundert von MR 1585 (1543). Falsches Siegel. Die äußere Unechtheit muß Verdacht erregen, wenn sich auch ein bestimmter Nachweis für Fälschung nicht führen läßt. Vgl. S. 103.
    MR 1663 (1619) (II, Taf. 32, 4). Karl III. Nachzeichnung 10. Jahrhundert. Benutzung echter Vorlage. Unechtes Siegel, auf Grund einer Vorlage wie I, Taf. 3, 7 oder 8. Vgl. S. 103.
    MR 2014 (1960) (II, Taf. 33, 2). Ludwig das Kind. Ziemlich gelungene Nachzeichnung einer vom Schreiber von MR 2015–17, 2027, 2028 geschriebenen Urkunde. Siegel unecht, Typus der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts. Vgl. S. 104.
    St. 30 (II, Taf. 33, 3). Heinrich I. Nachzeichnung Anfang 11. Jahrhundert. Siegel Nachahmung Heinrich III. 1 (I, Taf. 14, 1). Vgl. S. 100. 104. 112. 221.
    St. 42 (II, Taf. 33, 5). Heinrich I. Nachzeichnung eines Originaldiploms 12. Jahrhundert. Vgl. Mon. Germ. Dipl. 1, No. 35. Siegel im Stile des 12. Jahrhunderts. S. 105. 164.
    St. 271. Vgl. S. 215. 225.
    St. 489 (II, Taf. 53, 2). Otto I. Nachzeichnung des Originals St. 488 11. Jahrhundert. Fälschung mit echtem Siegel Ottos I. 6 (I, Taf. 7, 7), das aber erst an echten Urkunden seit 972 nachweisbar ist. Vgl. S. 164. 225.
    St. 554 (II, Taf. 34, 6). Otto II. Nachzeichnung Ende 11. Jahrhundert mit gefälschtem Siegel. Da das plump gefälschte Siegel mit den Fragmenten des Siegels aus der gefälschten Urkunde Ottos II. (St. 555) (I, Taf. 34, 7) übereinstimmt, scheint es erst um 1200 angebracht zu sein. Mon. Germ. Dipl. 2, 16 und 37, 4. S. 106.
    St. 801 (II, Taf. 34, 9). Otto II. Nachzeichnung 12. Jahrhundert mit falschem Siegel. S. 106.
    [224] St. 1046B (II, Taf. 53, 7) und St. 1057 Otto III. (II, Taf. 54, 1–3). Nachzeichnungen mit echtem Siegel Ottos II. Vgl. S. 107. 108. 224f.
    St. 1093. Otto III. Unecht aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts. Die Stücke des abgefallenen Siegels entsprechen St. 3 (I, Taf. 9, 5). Aber auch wenn sie Bruchstücke eines echten Siegels zu sein scheinen, so ist die frühere Befestigung desselben an der Urkunde zweifellos eine künstliche gewesen, mithin nur ein Verdachtsgrund mehr. Kehr a. O. 281. S. 108.
    St. 1347 (IV, Taf. 78, 7–10) Heinrich II. Neuausfertigung (?) von St. 1346 geschrieben von E A, unter Einschiebung eines Zusatzes, durch den die in Otto III. (St. 1109) dem Kloster bewilligte Schenkung von Brüggen noch ausdrücklich bestätigt wird. Wann die um dieses Zusatzes willen erfolgte Neuausfertigung (?) geschrieben ist, wissen wir nicht. Nur läßt sich annehmen, daß sie vor April 1004 geschrieben ist, da E A später nicht mehr als Ingrossist nachweisbar ist. Zur Ausfertigung wurde die Bleibulle (I, Taf. 11, 4 = IV, Taf. 78, 7. 8) benutzt, die man abformte, wie das daraus hervorgeht, daß aus dem schlecht geprägten R in GRATIA von St. 1346 GATIA in St. 1347 wurde. S. 109.
    St. 1802 (II, Taf. 38, 3). Heinrich II. Nachzeichnung 12. Jahrhundert mit nachgeahmtem Siegel. Vgl. S. 110. 227.
    St. 1901 (II, Taf. 38, 6). Konrad II. Nachzeichnung c. 1116 und St. 2079 (II, Taf. 38, 7). Nachzeichnung 12. Jahrhundert. Siegel Nachahmung von Konrad II. 1 (I, Taf. 12, 1). S. 111.
    St. 2026 (II, Taf. 38, 7) Konrad II. Nachzeichnung 12. Jahrhundert. Inwieweit die Nachzeichnung als Fälschung anzusehen ist, läßt sich nicht feststellen. Das Siegel dürfte sicherlich gefälscht sein. S. 111.
    St. 2100. Nachzeichnung eines verlorenen Diploms Konrads II. 12. Jahrhundert. Die Urkunde war besiegelt, aber kaum mit einem echten Siegel Konrads versehen. Vgl. S. 111.
    St. 2771 (II, Taf. 56, 2). Heinrich IV. Nachzeichnung von St. 2772, mit echtem Siegel Heinrichs II. 4 (I, Taf. 16, 4). S. 115.
    St. 3085 (II, Taf. 56, 3). Heinrich V. Nachzeichnung mit gefälschtem Inhalt und echtem Siegel. Vgl. S. 116. 225.
Empfohlene Zitierweise:
Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige Band 5. Wilhelm und Bertha v. Baensch Stiftung, Dresden 1913, Seite 223. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Posse_Band_5_0224.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)