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entstehenden Rotationsbewegung, nur den 10–23ten Teil der translatorischen Energie. Bei Becquerelstrahlen ist die Berücksichtigung der Rotation weit schwieriger; hier sind translatorische und rotatorische Bewegung durch das elektromagnetische Feld gewissermassen gekoppelt. Ich habe mich darauf beschränkt, Rotation um die Translationsrichtung zu behandeln, eine Bewegung, die zu den ausgezeichneten gehört. Das allgemeine Rotationsproblem für grosse Geschwindigkeiten ist bisher nicht gelöst; ich halte eine Bearbeitung desselben für wenig lohnend, da die Schwierigkeiten sehr bedeutende sind, und da bisher nichts dazu zwingt, bei Becquerelstrahlen Rotationen als wesentlich mitspielend anzunehmen.

Zum Schlusse eilend, fasse ich die Resultate zusammen. Das Problem der Dynamik des Elektrons ist das einfachste Problem der elektromagnetischen Mechanik. Das nur translatorisch bewegte Elektron entspricht dem materiellen Punkte, das rotierende dem starren Körper der gewöhnlichen Mechanik. Auch haben wir die Annahmen über Form und Ladungsverteilung des Elektrons möglichst einfach gehalten – gerade die einfachsten Annahmen stimmen mit dem Experiment überein –, und dennoch ist die Dynamik des Elektrons weit komplizierter, als es die entsprechenden Aufgaben der gewöhnlichen Mechanik sind. Nur für eine spezielle Klasse von Bewegungen, für die „ausgezeichneten Bewegungen“, die gleichzeitig quasistationär sind, liessen sich die Lagrangeschen Gleichungen in der aus der analytischen Mechanik bekannten Form deduzieren; für solche Bewegungen gilt selbstverständlich auch diejenige Formulierung der Lagrangeschen Mechanik, welche man das „Hamiltonsche Prinzip“ nennt. Wird der Gültigkeitsbereich der analytischen Mechanik in gewisser Weise eingeschränkt, so erfährt er wiederum in anderer Hinsicht eine sehr wesentliche Erweiterung. Denn die gewöhnliche Mechanik materieller Körper bezieht sich auf sehr geringe Geschwindigkeiten, die Dynamik des Elektrons gilt bis nahe an die Lichtgeschwindigkeit heran. Auch hier erweist sich das Lagrangesche System der Mechanik als richtig; nur sind es kompliziertere Formen der Lagrangeschen Funktion, die in der elektromagnetischen Mechanik gelten, Formen, die bei langsamer Bewegung in die von der gewöhnlichen Mechanik als gültig angenommenen übergehen.

Diese Erweiterung des Machtbereichs der analytischen Mechanik beschränkt sich auf den gewöhnlichen, dreidimensionalen, euklidischen Raum. Allein sie berücksichtigt, und darin zeichnet sie sich vor anderen vorgeschlagenen Erweiterungen aus, diejenigen physikalischen Eigenschaften des Raumes, welche in den Maxwell-Hertzschen Differentialgleichungen ihren mathematischen Ausdruck finden. Es mag betont werden, dass unsere Theorie kontinuierliche Raumerfüllung des Äthers, d. h. exakte Gültigkeit jener Differentialgleichungen, noch annimmt für Distanzen, die klein sind gegen den Radius des Elektrons, d. h. gegen ein Billiontel eines Millimeters, und für Feldstärken, welche die unserer Messung zugänglichen billionenfach übertreffen. Die Übereinstimmung der theoretischen Resultate mit den experimentellen Ergebnissen von Herrn Kaufmann zeigt die Berechtigung dieser Annahme. Also: atomistische Struktur der Elektrizität, aber kontinuierliche Raumerfüllung des Äthers! Das sei unsere Losung.

(Selbstreferat des Vortragenden.)


Diskussion.

Planck (Berlin): Jeder, der sich mit diesen Dingen beschäftigt hat, wird darüber befriedigt sein, dass es den beiden Herren gelungen ist, diese schwierige Frage doch im letzten Grunde in einfacher Weise zu lösen. Wenn sich das alles so bestätigt, dann dürfen wir hoffen, dass sich an diese Untersuchungen ein wesentlicher Fortschritt der Elektrodynamik knüpfen wird. Von den vielen Fragen, die durch den Vortrag angeregt werden, möchte ich nur zwei an den Vortragenden richten. Die erste Frage bezieht sich auf die Bedeutung dieser Dinge für die Elektrodynamik überhaupt. Es sind diese Feststellungen nur von Bedeutung für die Lorentzsche Theorie, sie fussen durchaus auf den Lorentzschen Gleichungen. Nun ist es bekannt, dass noch andere Grundgleichungen existieren, die den Anspruch machen, den Thatsachen zu entsprechen, z. B. die Cohnschen Gleichungen. Es wäre doch interessant, zu fragen, wie die Sachen sich stellen, wenn man die Cohnschen Gleichungen den Rechnungen zu Grunde legt. Die Durchführung der Berechnungen wäre zwar wahrscheinlich sehr schwer, aber doch interessant, weil man vielleicht dadurch erfahren könnte, ob die Cohnsche Theorie überhaupt noch zulässig ist.

Die zweite Frage ist folgende: Es würde mich interessieren, zu erfahren, innerhalb welcher Grenzen noch ein quasistationärer Zustand zu Grunde gelegt werden kann. Ich möchte gerne wissen, auf welchem Wege man darüber noch etwas Näheres erfahren könnte.

Abraham: In Bezug auf die erste Frage habe ich zu bemerken: gewiss wäre es wichtig

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Max Abraham: Prinzipien der Dynamik des Elektrons. S. Hirzel, 1902, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Prinzipien_der_Dynamik_des_Elektrons.djvu/6&oldid=- (Version vom 1.8.2018)