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Verlobung mit einem mächtigen Prinzen.“ Und so wurde alle Welt zu dem Feste eingeladen.

Während der König aber so mit seiner Tochter gesprochen, hatte der Student gerade den Ring am Finger, den ihm die Hexe gegeben hatte, und da wußte er jedes Wort, das der König zu der Prinzessin sprach. Auf den Abend, als es dunkelte, gingen Alle in den Lustgarten des Königs, um zu lustwandeln. Und da ging immer ein Hofherr mit einer Hofdame, und selbst der alte König führte seine Frau Königin am Arm.

Wiewol nun der Student gar begierig war, der Königstochter einen Kuß zu geben, so hatte er doch, wie die Gesellschaft in den Garten ging, erst seinen Mantel umgenommen und ging unsichtbar von einem Herrn zum andern und malte jedem Herrn einen Strich, dem alten König aber zweie. Dann warf er den Mantel ab und suchte die Königstochter auf.

Sie war die Einzige in der Gesellschaft, die allein ging. Einsam lustwandelte sie etwas abseits in den dunkeln Gängen und wartete, ob nicht Jemand käme, der den Muth hätte, sie zu küssen, wie ihr der alte König befohlen hatte. So trat der Student zu ihr und gab ihr einen herzhaften Schmatz. Sogleich malt ihm die Königstochter mit Kohle einen Strich ins Gesicht. Wie aber Alle aus dem Garten wieder in den hellerleuchteten Königssaal ziehen, da ist der Student nicht der Einzige, der einen Strich im Gesicht hat, sondern alle Hofräthe und alle Offiziere, von dem ältesten General bis zu dem jüngsten Fähnrich, der noch nicht einmal das Offizierexamen bestanden hatte, trugen ihren schwarzen Strich. Den dicksten Strich hatten die Minister des Königs gerade unter der Nase, und die sahen einander gar curios an, als sie das merkten, denn jeder von ihnen dachte, daß sein Herr College die Königstochter geküßt hätte.

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Heinrich Pröhle: Kinder- und Volksmärchen. Leipzig 1853, Seite 146. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Kinder-_und_Volksmaerchen_146.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)