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bei dir im goldenen Löwen verweilt, hatte er kein Mittagsbrot erhalten und mußte endlich ungegessen zur Schule gehen. Das that mir so leid, darum war ich doppelt zärtlich mit ihm und steckte ihm statt des Mittagsessens Backwaaren aus meinem Körbchen zu.“ Als sie das gesprochen hatte, fiel der Oberst sich mit seinem Burschen von neuem um den Hals, und von der Zeit an wurde der Oberst wieder eine schlichte Kaufmannsfrau und sein Bursche wieder ein angesehener Kaufherr, und nur ihr Sohn hat als Soldat fortgedient und ist an militärischen Ehren hinter seiner Mutter nicht zurückgeblieben.


62. Die hochmüthigen Mädchen.


I.

Die Stadt Wien liegt an der Donau; von ihr berichten alle Handwerksburschen, die des Wegs herkommen, daß sie dort nicht wissen, wie weh unglückliche Liebe thut, und daß die Mädchen dort ebenso kreuzbrave Leute sind als in Würzburg. Nur eine schöne Kaufmannstochter spielte dort ihren Liebhabern einmal übel mit, wovon ich jetzt berichten will.

Ihre Liebhaber waren drei Gesellen, ein Goldschmied, ein Sattler und ein Schneider. Die waren treu verbrüdert und zogen immer miteinander in den Straßen von Wien umher und sangen:

Lauter schöne Leut' sein wir,
Lauter schöne Leut'.
Wenn wir keine schönen Leut' nicht wären,
So könnten wir kein Geld verzehren.

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Heinrich Pröhle: Kinder- und Volksmärchen. Leipzig 1853, Seite 192. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Kinder-_und_Volksmaerchen_192.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)