Seite:Proehle Kinder- und Volksmaerchen 227.jpg

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Lebens schon längst überdrüssig, und wußte auch nicht, wo er übernachten sollte, denn die Mühle lag ganz allein, und war weit und breit kein Haus mehr in der Nähe, außer dem kleinen Häuschen neben der Mühle, das kaum so viel Platz hatte, daß der Müller darin schlafen konnte. Der Müller gab dem Mühlknappen endlich nach, und als dieser zwischen Elf und Zwölf in der Mühle noch wach war, trat auf einmal ein Mann mit einer weißen Mütze und einem weißen Hemde herein, er trug einen Scherbeutel unter dem Arm, war ganz complisant, setzte einen Stuhl in die Mitte der Stube und nöthigte den Mühlknappen mit vielen, vielen Bücklingen, sich darauf zu setzen. Der Mühlknappe konnte seinen Winken zuletzt nicht mehr widerstehen und dachte schon, daß sein letztes Stündlein geschlagen. Er sprach aber zu sich selbst: Wenn du hier barbirt wirst und es wird dir der Hals abgeschnitten, so sollst du doch vorher den Barbier bezahlen, damit du nach deinem Tode keine Schulden nachläßt. Er wendet also alle seine Taschen um und schüttelt zuletzt einen alten Kassenmathier[1] daraus hervor, den legt er für den Barbier auf den Tisch. Darauf schlägt der Barbier ordentlich Schaum wie sich's gehört, barbirt den Mühlknappen, ohne ihm dabei den Hals abzuschneiden, zieht dann aus der Decke einen Kasten hervor, den bis dahin Niemand gesehen hat, wirft den Mathier hinein, nimmt seinen Scherbeutel unter den Arm und verschwindet mit vielen Bücklingen. Als der Mühlknappe das am andern Morgen dem Müller erzählt, und sie miteinander hingehen, um den Kasten an einem Knopfe, welcher vorher auch von Niemand bemerkt ist, aus der Decke der Mühle hervorzuziehen, fällt der Kasten herunter, sobald sie nur den Knopf anrühren, und er ist so schwer von Geld gewesen, daß er den Müller sogleich todt


  1. Mathier ist ein Vierpfennigstück.
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Heinrich Pröhle: Kinder- und Volksmärchen. Leipzig 1853, Seite 227. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Proehle_Kinder-_und_Volksmaerchen_227.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)