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„Oh mein Andreas! Mein Sohn, mein letztes Kind“ … heulte und klagte die Alte.

Ich weiß nicht, wie mir geschah, als ich diesen Schrei vernahm! Eine Art äußerer Gewalt trieb mich vom Hofe weg und jagte mich immer weiter und weiter, daß ich nur nicht mehr dieses furchtbare[WS 1] Klagen und Heulen hörte!… … Ich durchschritt das Dorf und ging immer weiter, wie im Nebel, nur hinaus in die Ferne….

Ich kam erst zu mir in einem einsamen Waldwinkel. Was damals in meiner Seele vorging, vermag ich nicht zu beschreiben…. Ich suchte die Beweggründe zu meiner so verhängnißvoll gewordenen Handlungsweise zu analysiren. In der That, was hatte mich zu meinen Spürereien, Dank denen jetzt all diese Menschen weinten, bewogen? War es vielleicht Mitleid mit dem ermordeten Alten, den ich garnicht gekannt und von dem ich nur gehört hatte, daß er ohne Zaudern eine ganze Familie wegen eines in seinen ungeheuren Wäldern gesammelten Fuder Holzes unglücklich gemacht? That er mir vielleicht leid?… Nein, an dem verfluchten Abend, als ich mit dem Richter auf die Suche ausging, dachte ich gar nicht einmal an ihn; ich dachte nur daran, daß ich das Geheimniß seines Todes aufdecken werde. Dieses – nicht das Mitleid mit dem Ermordeten oder das Prinzip einer höheren Gerechtigkeit, nein, eine richtige fessellose Spürsucht, ein bei Jagdhunden wohlbekannter Instinkt, trieben mich damals an und führten mich zu jenem unglückseligen Trog, aus dem ich die verrätherische Jacke zog! Und als wir uns um die Ehre dieser Entdeckung mit dem Untersuchungsrichter stritten – was interessierte uns damals eigentlich? …

Ich lag auf dem Boden im Grase und litt fürchterlich. Ich suchte mich mit der Betrachtung, daß Andreas jedenfalls ein schweres Verbrechen verübt hatte, zu beruhigen. Aber sogleich erstand in meinem Innern die Frage: wessen Schuld war größer, Baidischs oder – die meinige? …

Diese Frage quälte mich natürlich am meisten. In meinen Ohren tönte das unmenschliche Schluchzen Andreas’ Mutter, vor meinen Augen sah ich die stummen Thränen seines alten Vaters. Auch Andreas selbst sah ich vor mir stehen, wie ich ihn zuletzt im Gedächtniß behalten – ohne Mütze, mit hängendem Kopf, einem qualvollen Blick, diesen schönen Jüngling gefällt, getödtet – durch meine Hand!… Meine Finger knackten, so sehr drückte ich sie zusammen.

Um mich herum aber war es so wunderbar schön, so heiter! Das Stückchen Waldes um mich her war voller Leben, voll Genuß. Das hohe Gras athmete Kühle, eine unsichtbare Grille zirpte irgendwo darin; neben mir summte über einer saftigen Waldblume ein kleines, munteres Bienchen; durch die frischen, grellen Zweige guckte die Morgensonne, und ihre Strahlen vergoldeten das Gras und spielten auf der Oberfläche des Bächleins, welches, von grünem Schilf umsäumt, heiter dahinfloß. Und über alles das goß sich das Lied einer Nachtigall aus: irgendwo im dichten Nußgehege sang eine Nachtigall laut und schmetternd!… Das erinnerte mich an den Gesang der Nachtigallen in jener Nacht, wennschon es jetzt etwas anderes war: in jenem nächtlichen Gesange, der in dem vom Mondschein übergossenen Walde ertönte, lag ein geheimnißvoller Zauber, eine Leidenschaft, die in Sehnsucht überging; während jetzt, beim Sonnenlicht, das Lied der Nachtigall von heller Freude, von der Poesie des Glückes, von Freiheit erfüllt schien. – Aber das Lied zerriß mir die Seele! Ich stand auf und ging aus dem Walde, um es nicht mehr zu hören.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: furchbare
Empfohlene Zitierweise:
Olena Ptschilka: Mein erster Erfolg. Johann Heinrich Wilhelm Dietz, Stuttgart 1898, Seite 640. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:PtschilkaMeinErsterErfolg.pdf/8&oldid=- (Version vom 23.2.2017)