Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Erster Theil | |
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Mensch mit der Zeit sich selbst glücklich fühlen solle. Nie wird es mit der Liebe übereinstimmen, wenn wir ohne Rücksicht darauf, ob der Mensch in einiger Zeit das ihm bereitete Glück zu fühlen im Stande seyn werde oder nicht, ihn nach unsern Begriffen beseligen, und nach den seinigen quälen wollen. Wir müssen bey einem anscheinend übelwollenden Betragen sichere Rechnung darauf machen können, daß er, so wie wir ihn für eine selbstständige Person erkennen, die Folgen unserer gegenwärtigen Härte bald wohlthätig für sich selbst empfinden werde. Wer sein Kind für Unarten straft, kann darauf rechnen, daß es ihm als erwachsener Mensch dafür danken werde, und diese harte Behandlung, wenn sie gleich an sich nicht die Form einer einzelnen liebenden Aufwallung ist, gehört doch zur liebenden Anhänglichkeit. Wer aber sein Kind verstümmelt, um es vor Versuchungen des Lasters zu bewahren, kann auf seinen Dank, als Mensch, nicht rechnen. Wer ein Volk durch Aberglauben und Abgaben niederdrückt, um es vor den Gefahren einer falschen Aufklärung, oder eines übertriebenen Luxus zu bewahren, liebt es eben so wenig, als derjenige, der ohne Rücksicht auf die Sinnlichkeit und Rohheit der Menschen diese nach Gesetzen regiert wissen will, die nur im Reiche vollkommener Geister gelten können. In diesen und ähnlichen Fällen liebt man nicht die selbstständigen Personen, sondern man begehrt nur den Begriff vom höchsten Gut in Anwendung gebracht zu sehen. Vielleicht fällt die Inculpation des Unrechts bey einer solchen Verfahrungsweise weg: aber für liebend kann sie nicht gehalten werden.
Basilius von Ramdohr: Venus Urania. Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredelung und Verschönerung/Erster Theil. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1798, Seite 308. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ramdohr-Venus_Urania-Band_1.djvu/308&oldid=- (Version vom 1.8.2018)