Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 2.djvu/287

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Neuntes Kapitel.
Der Kuß.

O Kuß, du wirst geschändet, wenn man in dir eine armselige Nachbildung des unnennbaren Genusses sucht! Du hast deinen dir eigenthümlichen Reitz; du bist eines der auffallendsten Symbole der Vereinigung der Wesen!

Doch! was kann die arme Rede sagen, deine Wollust und Wonne auszudrücken, da die sinnlichste aller Darstellungen, jene Gruppe des Alterthums, welche die Umarmung Psyche’s und Amors bildet, nur so mangelhaft an deine Freuden erinnert! Seht, wie die Liebende den Geliebten umschlingt, gleich dem Epheu, der den freundlichen Stamm umwindet, um sich nie wieder von ihm zu trennen! Seht, wie sie sich an ihm hinauf hebt, damit Herz auf Herz, Mund auf Mund passe! Seht, wie seine Rechte, verstrickt in ihre Seidenlocken, das Hinterhaupt an sich preßt, während die schmeichelnde Linke ihren zarten Kinn an den seinigen andrückt! Das, oder ungefähr das mag die Kunst des Bildners liefern! Aber ach! welche Kunst mag den Ausdruck der innern Regungen darstellen, die das ganze Wesen der Liebenden durchströmen! Nicht bloß den feinsten Geist der Animalität, mit dem ihre Körper hoch beladen sind, suchen sie einander mitzutheilen. Mehr; ihre Arme pressen aus den Körpern selbst die Seelen hervor, die getheilt zwischen Verlangen und banger Erwartung des Momentes harren, wo sie in das geliebte Wesen übergehen werden.

Schwellend und niedergedrückt von ermattender Begierde und Aengstlichkeit öffnen sich die Augenlieder halb und mühsam. Der schüchterne, wonnetrunkene