Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 2.djvu/387

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Eilftes Kapitel.
Wann wird die Treue gebrochen?

Nirgends zeigt sich der Unterschied zwischen feinerer und gröberer Denkungsart, zwischen Selbstsucht und Liebe auffallender, als bey den Forderungen, die wir auf Treue an uns selbst und an den Gegenstand unserer Liebe machen. Während daß einige nur dann die Rechte des verbündeten Theils zu kränken glauben, wenn sie einen Verrath begehen, den selbst die Gesetze ahnden würden, verlangen andere eine gänzliche Abgezogenheit von allem Umgang mit andern Personen von verschiedenem Geschlechte als Beweis der Treue.

Ob nun gleich in der guten Gesellschaft diese beyden Extreme einer zu laxen und einer zu strengen Denkungsart ziemlich allgemein gemißbilligt werden; so scheint man doch die wahre Linie, welche die Verbindlichkeit zur Treue umschreibt, bisher verkannt zu haben.

Mir scheint es, daß diese jedesmahl gebrochen werde, wo wir mit Vergnügen dem Gefühle nachhängen, daß ein Dritter der Vereinigung geschlechtsverschiedener Naturen mit uns nachstrebe. Jedesmahl wo wir uns der üppigen Eitelkeit überlassen, durch Reitze und Vorzüge, welche uns als einer Person von einem gewissen Geschlechte eigen sind, (durch unsere Geschlechtseigenthümlichkeiten) auf die Geschlechtssympathie eines andern zu wirken: jedesmahl, wo wir uns der Wonne überlassen, üppige, lüsterne Gefühle in seinem Körper oder seiner Seele zu erregen; jedesmahl, wo wir den Stolz fühlen, Huldigungen von einer Person von verschiedenem Geschlechte, die nur der erregten Geschlechtssympathie