Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 3.1.djvu/208

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suchen bey dem unaufhörlichen Wechsel des Vergehens und Entstehens immer etwas Neues von derselben Art an die Stelle des Alten zu setzen. Diese Zeugung, wodurch wir das Gute, das wir haben, unser Leben, unsern Leib, unsere Sitten, Gewohnheiten, Meinungen, Begierden, ja, sogar unser Wissen immerwährend zu erhalten suchen, geschieht nicht durch das Häßliche, sondern durch das Schöne. Denn von dem Häßlichen wenden wir uns mit Widerwillen und Mißmuth weg, schrumpfen in uns selbst zusammen, und behalten, anstatt zu zeugen, den Bildungsstoff unter sehr quälenden Empfindungen bey uns. Hingegen, wenn wir uns mit einem schönen Gegenstande gatten, so werden wir in Wonne und Entzückung aufgelöset, und es erfolgt Zeugung und Befruchtung. Nicht das Schöne ist folglich der Gegenstand des Verlangens der Liebe; sondern sie begehrt des Schönen, um zu erzeugen und zu gebähren.“ –

Der Gang der platonischen Ideen ist hier ziemlich deutlich. Er richtet seine Aufmerksamkeit auf das Unterscheidende des Begattungstriebes, den er mit der Liebe verwechselt. Dieser zeichnet sich durch eine Sehnsucht aus, die gemeiniglich von der Schönheit der physischen Gestalt erweckt wird, und die Folgen seiner Befriedigung sind Zeugung, Befruchtung, Fortpflanzung, vermöge dieser aber Unsterblichkeit der Gattung. Diese zufälligen Charaktere des unnennbaren Triebes werden für dessen unterscheidende Merkmahle angenommen, und der Trieb selbst mit Liebe verwechselt. Es fällt aber in die Augen, daß Beyde sehr verschieden sind. Nicht einmahl der unnennbare Trieb, und der Trieb, zu zeugen, dürfen mit einander verwechselt werden. Keine