Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 3.1.djvu/243

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ihm ruhen durften: und weil die Freundschaft selbst einen von den edleren Gegenständen ausmachte, die um ihrer selbst willen gewünscht werden mußten, und denen der Weise daher nachstreben sollte. Die Freundschaft gehörte daher in den Begriff der Weisheit, theils als Gegenstand des Nachstrebens, theils als Zustand des Gemüths für den Weisen. Sie gehörte zu seinem Wohlstande, als vernünftiges Wesen betrachtet: ohne sie konnte er zwar bestehen, aber er wollte es nicht, und er endigte ein einsames Leben, als ein solches das seiner moralischen Natur nicht angemessen war.

Hieraus läßt sich die Stelle beym Cicero erklären. Der Glanz der Schönheit, der zur Freundschaft einladet, liegt für den Stoiker nicht in der äußern Gestalt, sondern in der Sache selbst. Nicht der Freund, sondern die Freundschaft, das Verhältniß, ist es, das durch seine Schönheit den Weisen einladet, sich in die dazu nöthige Stimmung zu versetzen. Wenn ihm daher ein Freund abstirbt, so sucht er ihn geschwind durch einen andern zu ersetzen, und er hört erst dann auf zu leben, wenn er keinen weiter finden kann.

Ich brauche wohl nicht erst aufmerksam darauf zu machen, daß dieß System einem verfeinerten Egoismus angehört. Es bricht dieser auch allenthalben beym Seneka durch. Er freuet sich über die Fortschritte seines Freundes – weil er es ist, der ihn gebildet hat. [1] Er ist überzeugt, daß die Freundschaft durch die Abwesenheit noch gewinne, weil man sich häufiger und besser in Ideen vereinigen könne. [2] „Ich habe,


  1. Epist. 34.
  2. Epist. 55.