Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 3.1.djvu/339

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späteren Dichtern zum Vorbilde ihrer hochherzigen, keuschen, und zugleich kriegerischen Heldinnen gedient.

Es ist der Mühe werth, die Trauerspiele, welche dem Seneka beygelegt werden, mit denen des berufenen Weiberhassers Euripides zusammenzuhalten, um zu erfahren, wer von ihnen Beyden das zärtere Geschlecht edler dargestellt hat. Man wird dann finden, daß Euripides Alles gethan hat, um selbst die Schwächen dieses Geschlechts von einer interessanten Seite darzustellen, daß hingegen Seneka, eine gewisse stoische Hochherzigkeit abgerechnet, Alles thut, um es verächtlich zu machen.

Seine Phädra erscheint wahnsinnig vor Begierde: dringt sich dem Hippolytus auf das schamloseste auf, und wird um so ekelhafter, da sie den Rath ihrer bessern Amme für nichts achtet. Medea, Oktavia, Dejanira, Clytemnestra sind rachsüchtig, wüthend, und die letzte wird zu einem Ungeheuer, wie es nur die Imagination des Dichters schaffen kann. Da überhaupt die Stärke des Seneka nicht darin besteht, seinen Charakteren innern Zusammenhang und Wahrheit zu geben; da er immer mehr daran denkt, was sich überhaupt in einer gewissen Situation sagen ließe, als was die dargestellte Person gesagt haben würde; so brechen zuweilen selbst bey denjenigen Weibern, die er zum Gegenstande unsers Abscheus macht, bessere Gesinnungen durch, als man ihnen ihrer Anlage nach zutrauen darf. Ganz im Wesen der Liebe sagt daher Medea: Kann es seyn, so lebe mein Jason wie er war! Aber auch verändert mag er leben!“