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Sechstes Kapitel.
Liebesbriefsteller in Prosa: Philostrat, Alciphron, Aristänet.

Zwey merkwürdige Erscheinungen verdanken wir dieser Periode: die Liebesbriefe und die Liebesgeschichte, beyde in Prosa. Die ersten sind an die Stelle der Heroiden und Elegien getreten, nachdem man keine Verse mehr zu machen verstand, oder sie nicht mehr lesen mochte.

Unter den Gelehrten, welche Julia Domna um sich hatte, war Philostrat: ein Mann dessen schlechter Geschmack auf die Produkte der Nachkommenschaft den wichtigsten Einfluß gehabt hat. Außer dem Leben des Apollonius Tyanensis, dessen ich in der Folge noch weiter gedenken werde, verdanken wir ihm eine Sammlung von Liebesbriefen, in denen beynahe alle Ideen über die Verfeinerung der Liebe angetroffen werden, welche das Mittelalter aufweiset. Besonders aber scheint sein gesuchter und schwülstiger Styl seinen Nachkommen zum Vorbilde des Ausdrucks in den Darstellungen der Liebe gedient zu haben.

Man kann die Briefe des Philostrat als Redeübungen ansehen, als Deklamationen, als Muster, wie man in verschiedenen Situationen an Lieblinge und Geliebte schreiben soll. Oft findet man über eine und die nehmliche Situation mehrere Briefe. Allemahl aber ist ebendasselbe Süjet wenigstens zweymahl behandelt: anders für den Liebling, anders für das geliebte Weib.