Seite:Ramdohr-Venus Urania-Band 3.1.djvu/389

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„Beyde waren von gleichem Gefühl durchdrungen, und lange wollt’ es keiner wagen, den andern anzureden, oder nur die Augen gegen ihn aufzuheben. Schmachtend vor Scham und Wonne lagen sie da. Eine wollüstige Ahnung hob ihre Busen, und süße, nie gefühlte Schauer durchdrangen ihr ganzes Wesen. Endlich erhohlte sich Abrokomas zuerst, und schlang seine Arme um Anthien, deren Gefühl in Thränen ausbrach. „O selige Nacht, rief der entzückte Jüngling, endlich, endlich bist du mir doch einmahl erschienen! O der traurigen, die ich durchquälen mußte, waren so viel! Süßes, theures Mädchen, theurer mir als das Licht meiner Augen! Sag’ mir, bist du nun auch von Herzen froh? Sey es, bestes Mädchen, du sollst an mir einen Gemahl haben, wie ein gutes Weib ihn nur immer wünschen kann!“ – So sprach er, und küßte ihre süßen Thränen weg. – „Ach Abrokomas, hub das schüchterne Mädchen an, findest du mich wirklich schön, du Schönster? Aber warum mußtest du selbst gegen deine Liebe ankämpfen! Doch ich verzeihe dir gern. Meine eigne Marter zeigt mir, was du gelitten haben mußt. Nimm nun dafür meine Thränen hin, und trockne sie mit deinen schönen Locken. Komm! wir wollen nun ganz eins, uns aneinander schmiegen und umschlingen, unsre Kränze mit diesen Thränen tränken, und ihnen unsere Liebe mittheilen.“ So sprach sie, umschlang schmeichelnd seinen Nacken, und trocknete ihre Augen mit seinen Locken. Nachdem sie ihre Kränze wieder in Ordnung gebracht hatten, fügten sie küssend Lippen an Lippen, und jeder Gedanke, jedes Gefühl ward aus der Seele des einen in die Seele des andern durch Küsse gesendet. Anthia rief, als sie seine Augen küßte. „O wie oft