Seite:Ravensburg Verkehrsleben 03.jpg

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gänzlich eingegangen.[1] Den Mangel einer für den Fernhandel vorteilhaften geographischen Lage der Stadt hatte selbst die außerordentliche Geschäftstüchtigkeit und Energie der alten Ravensburger Patrizier auf die Dauer nicht auszugleichen vermocht.

Was den Nah- und Kleinhandel betrifft, so nahm dieser im Laufe der Zeit zu Ravensburg eine merkwürdige, ganz eigenartige Gestaltung an. Insbesondre gab es einen berufsmäßigen Detailhandel, einen eigenen Handelsstand, seit dem westfälischen Frieden mehr als ein halbes Jahrhundert hindurch dort überhaupt nicht mehr. Soweit die durch den Schwedenkrieg herbeigeführten jämmerlichen Zustände noch etwas weniges von einem Handelsbetrieb nötig hatten, sehen wir diesen in Ravensburg zu einem bloßen Nebenerwerbszweig der Zunfthandwerker herabgedrückt, in der Weise nämlich, daß die verschiedenen Zweige des Detailhandels größtenteils unter die einzelnen Zünfte verteilt waren, meist mit dem Rechte der Ausschließlichkeit, während andre Handelszweige als Versorgungsposten armer Witfrauen oder sonstiger Leute dienten. Die städtische Gesetzgebung hatte diese Entwicklung gefördert[2] in der an sich löblichen Absicht, dem durch die Kriege verarmten Handwerkerstand in dem Erwerb seiner Nahrung etwas aufzuhelfen.

Der Ravensburger Detailhandel unterschied sich somit von demjenigen andrer Städte darin, daß in diesen letztern gewöhnlich die gelernten Kaufleute und Krämer eigene Handels- oder Krämerzünfte oder Innungen bildeten und mehr oder weniger mit dem Recht ausgestattet waren, allen, die denselben nicht angehörten, die Handelschaft zu verbieten; in Ravensburg dagegen verhielt sich die Sache fast umgekehrt, die Handwerkerzünfte hatten die Befugnis, die Kaufleute, soweit solche überhaupt aufkommen konnten, von dem Handel mit den meisten Handelsartikeln auszuschließen.

Dieser gesetzgeberische Mißgriff hatte zur Folge, daß von da ab in Ravensburg anstatt richtiger leistungsfähiger Kaufläden eine über das Bedürfnis hinausgehende Anzahl kleiner nebenher betriebener Kramlädchen sich auftaten. Das war keine Grundlage, auf der ein gesunder Kleinhandel aufblühen konnte, und es würde das der Stadt mit der Zeit sicher verhängnisvoll geworden sein und ihr ihre Landkundschaft entzogen haben, wenn nicht im 18. Jahrhundert wieder ein Stamm gelernter Berufskaufleute aufgekommen wäre. Dabei hatte das neugeweckte Bedürfnis nach Zucker, Kaffee usw.[3] mitgewirkt,


  1. [S. 3, Anm. 1:] Siehe G. Schöttle in den Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees, 1909. S. 53–59.
  2. [S. 3, Anm. 2:] Eine ravensburgische Satzung von 1554 enthält bereits Anfänge einer solchen Entwicklung. Darnach war damals schon jeder zünftige Handwerksmeister berechtigt, neben seinem Handwerk eines der fünf sogenannten freien Gewerbe (oder vielmehr Handelschaften) zu betreiben. Es waren dies der Gewandschnitt (d. h. Tuchhandel im kleinen), der Barchentschnitt, der Lederhandel, der Eisenhandel und das Gemerz, welch letzteres wieder in drei verschiedene Zweige zerfiel, das Mehl-, das Obst- und das „schmotzige“ Gemerz (d. h. Handel mit Fettwaren und Talglichtern).
  3. [S. 3, Anm. 3:] Die Einbürgerung jedes neuen Genußmittels, insbesondre von Kaffee und Tabak, Obstmost und Branntwein, ging auch in Ravensburg unter langem und heftigem Widerstande der Obrigkeit vor sich. Noch in einem Ratsprotokoll vom 22. September 1780 heißt es: „Denen Armen wird der selbst dem Mittelmann grundverderbliche Kaffee bei Verlust des genießenden Almosens verboten.“ Das Rauchen hatten im dreißigjährigen Krieg neben dem Schnapstrinken und andern Untugenden die fremden Soldaten in der Stadt heimisch gemacht. Nach dem Frieden sah der Rat sich außer stand, es, wie er wollte, wieder zu unterdrücken. Den 16. April 1657 erging ein Rauchverbot folgenden Inhalts: „Bei Strafe eines Reichstalers soll niemand keinen Toback trinken, es würde ihm dann durch den Medicum verordnet.“ Aufgehoben ist dieses Verbot niemals worden; es ging damit, wie mit den meisten Verordnungen des Stadtrates, die, wenn sie nicht in der Folge wieder eingeschärft und erneuert wurden, bald der [S. 4] Mißachtung und zuletzt völliger Vergessenheit anheimfielen. 1707 stritt sich bereits die Schmiedzunft mit der Schneiderzunft um das Recht des Tabakverkaufs; es wurde vom Rat den Schmieden „abgestrickt“ und den Schneidern allein zugesprochen. Viel rascher als gegenüber dem Kaffee kapitulierte der Rat vor dem Tabak, und dieser rückte, da er nicht zu unterdrücken war, dann zu einer willkommenen Finanzquelle vor.