Seite:Ravensburg Verkehrsleben 06.jpg

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Etwas weniges, das einer Großindustrie gleichsah, gab es in Ravensburg immerhin: seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ließen einige Strumpfwirkermeister, namentlich die Kutter, durch andre zünftige Ravensburger Strumpfwirker und -stricker wollene und baumwollene Strumpfwaren auf den Handel herstellen und vertrieben diese im großen namentlich auf den Messen von Frankfurt und Zurzach. Bei der damaligen Kleidertracht war der Verbrauch ein sehr starker; denn ob hoch oder nieder, alt oder jung, trugen alle männlichen Personen Wadelstrümpfe zu ihren kurzen Kniehosen. Dieses Strumpfgeschäft kam in Ravensburg bald ganz hübsch ins Blühen, und während man in diesen Zeiten hier bei fast allen Handwerken mit Strenge darauf hinwirkte, den kommenden Handwerkernachwuchs möglichst einzuschränken, gestattete 1787 der Magistrat jedem Strumpfwirkermeister, je zwei Lehrlinge gleichzeitig zu halten.

Nichtsdestoweniger war man aber von zunft- und obrigkeitswegen fortgesetzt bemüht, daß die durch das Zunftwesen gesteckten Grenzen auch bei dieser Industrie allerseits eingehalten werden sollten. Es wird wohl im Interesse jener zünftigen Unternehmer geschehen sein, wenn 1769 der Rat anordnete, daß die Ravensburger Kaufleute sich des Strumpfhandels „bemüßigen“ sollten.

Jene Unternehmer suchten in der Folge ihren Betrieb in der Weise auszudehnen, daß sie auch in auswärtigen Orten für ihre Rechnung Strumpfarbeiter beschäftigten. Das war aber den Interessen der einheimischen Zünftigen entgegen, und der Stadtmagistrat fuhr (1771/73) mit scharfen Verboten dazwischen. Er verlangte, die Fabrikanten (so nannte man diese Unternehmer jetzt) sollten ihre Arbeiten ausschließlich durch „Hiesige“ fertigen lassen, zumal viele auswärtige Strumpfarbeiter auf der Fabrikanten eigenes Betreiben in die Stadt und ins Bürgerrecht aufgenommen worden seien, und im Falle der Bedürftigkeit samt ihren Angehörigen der Stadt und deren piis corporibus zur Last fallen würden.

In den 1780er Jahren schätzte man den Gesamtwert dieser Ravensburger Strumpfausfuhr auf jährlich ½ Million Gulden; aber 1804 betrug er nur noch den vierten Teil davon, da der Absatz solcher Waren nach Frankreich, Italien und der französischen Schweiz seit der Revolutionszeit durch Sperrmaßregeln verschlossen war, ein Schlag, von dem sich jener Ravensburger Industriezweig nicht mehr erholte.

Endlich mag auch der Musselin- und Vorhangstickerei Erwähnung geschehen. Sie wurde als Hausindustrie von weiblichen Personen und Kindern stark betrieben und zwar für Rechnung ostschweizerischer und vorarlbergischer Unternehmer, in derselben Weise, wie es noch heutzutage für die jetzt in der Stadt selber aufgekommenen Gardinenfabriken geschieht. Als Mittelpersonen zwischen den Arbeitern und Geschäftsfirmen unterhielten die letztern am Platze ihre eigenen Faktoren oder Stückfergger.

Obschon die Industrie in kirchlicher Beziehung ein neutrales Gebiet ist oder sein sollte, so übte doch das durch den Westfälischen Frieden für die städtische Regierung und Verwaltung eingeführte Prinzip einer ziffermäßig genau gleich abgewogenen Parität auch auf das Gewerbewesen einen Einfluß aus. Die Hammerschmitten z. B. sollten ausschließlich von dem katholischen Religionsteil, die Sägewerke dagegen bloß von dem evangelischen vergeben werden. Andre konzessionspflichtige Betriebe waren halbscheidig verteilt; demnach sollte es z. B. für alle Zukunft genau soviel „evangelische Mühlen, evangelische Bierbrauereien“ in der Stadt geben, wie katholische Mühlen und katholische Brauhäuser usw.