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preußischer Imperativ mit Weihrauch und Orgelklang, das war Brünings Idee, als er vor zwei Jahren die Erbschaft der Großen Koalition antrat.

Selten hat ein Staatsmann, der bei aller komplizierten Gedankenverkräuselung doch kein dilettantischer Doktrinär ist sondern ein mit Realitäten rechnender Mensch solche Enttäuschungen erfahren. Seine Versuche, die Hugenbergpartei zu zerschlagen, haben nicht zur Bildung einer neuen parlamentarischen Rechten geführt. Statt einer deutschen Torypartei, die zwar reaktionär ist aber auf gute Formen hält, ist der Fascismus gekommen, der nicht nur seinen Anteil sondern das Ganze fordert, und der selbst, wo er als Partner auftritt, in der Tasche den Revolver knacken läßt. Und als Brüning dann in höchster Wassersnot die Reichswehr wie einen rocher de bronce stabilisierte, da machten deren Führer sich selbständig. Es wurden Fäden gesponnen zum Hauptquartier des Fascismus, unsichtbare Hände woben ein Komplott, um den eben wiedererwählten Reichspräsidenten öffentlich gegen den Kanzler auszuspielen. Und dieser gleiche Kanzler, der sich anschickte, aus dem Zusammenbruch der alten schwarzrotgoldenen Demokratie ein neues konservatives und christliches Deutschland hervorzuzaubern, muß sich nun auf jene Kräfte stützen, die er hatte ausmerzen wollen, und muß es sich nun gefallen lassen, von denen, die er für immer hatte aus der Leitung des Staates drängen wollen, als letzter Hort des Liberalismus, als letzte Säule der Republik gefeiert zu werden. Der einzige Kanzler seit 1918, der mit einer wirklichen Idee in sein Amt gegangen war, mußte erleben, daß er nicht nur kein Bruchteilchen davon verwirklichen konnte, sondern muß sich schließlich mit einem vagen Okkasionismus begnügen, der ihn von Tag zu Tag weiterbalanzieren läßt — so lange, bis der wankende Aufbau endlich unter ihm zusammenbricht und das ganze Wundertheater krachend ins Parkett rollt. O Pitt, je rends hommage à ton génie! rief Camille Desmoulins dem londoner Manager der europäischen Konterrevolution zu, der sich bei aller Kunstfertigkeit am Ende doch so schrecklich verrechnet hat.

Gute Zeiten für strebsame Offiziere. Die bürgerliche Gewalt ist trotz Artikel 48 und Notverordnung auf ein Laisser faire eingeschworen und fürchtet nichts mehr als die Folgen einer eignen Kraftanstrengung. Da tritt das Militär breit in die Mitte. Denn da klappt noch alles, da bewegt noch jener Gehorsam, der allen andern Teilnehmern des Staates fehlt, automatisch die Glieder. Disziplin —? Ja, der Muschkote hat sie. Aber auch die Herren Generale?

Doch dieses Gebilde sieht noch immer verteufelt kompakt aus. Es strömt eine Wolke nationaler Mystik aus. Das Herz des Patrioten ist leicht zu verführen. Wenn er eine stramm marschierende Truppe bewundert, so vergißt er, daß der Soldat

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Carl von Ossietzky: Rechenschaft. Berlin: Verlag der Weltbühne, 10. Mai 1932, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rechenschaft_18.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)