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heute am wenigsten ein besonderes Werkzeug Gottes ist, das Vaterland wieder in Ruhm und Glanz zu führen, sondern ein Beamter wie andre auch. Kein auserlesenes Wesen sondern eine Gehaltsklasse. Wie die Post oder Feuerwehr.

Die Generalität hat diesen Nimbus ebenso sicher auszunutzen verstanden wie die Schwäche der bürgerlichen Mächte. Sie verteidigt ihre Forderungen mit der Wucht absolutistischer Herrscher. Kritik wird Anmaßung, ja Verleumdung. Anfechtung ihrer Ansprüche Verbrechen an der Wehrhaftigkeit des Volkes. Ein Versuch, diese Ansprüche aus dem militärischen Geheimkabinett ins Licht des Tages zu ziehen, Verrat militärischer Geheimnisse, Verrat an der ganzen Nation.

Vor ein paar Monaten, als ich die Bedingungen dieses seltsamen Zustand untersuchte, schrieb ich an dieser Stelle (Nr. 7 vom 16. Februar): „Es ist das stille Vorrecht der meisten Kriegsminister, gelegentlich den Mund etwas voll zu nehmen und sich und ihre Leute als den Hort des besten und auserwähltesten Patriotismus zu feiern. Das kommt auch in Ländern mit guter demokratischer Tradition vor. Dort ist der Kampf zwischen Militär- und Zivilgewalt schon historisch geworden und zugunsten des bürgerlichen Elements entschieden. Dort ist der Patriotismus im allgemeinen bereits in eine feste Form gegossen, und selbst seine gelegentlichen Exzesse tun aus diesem Grunde nicht mehr weh. Kein Kriegsminister würde es dort wagen, Leuten, die seine Politik nicht gutheißen, die anständige nationale Gesinnung abzusprechen. Aber Deutschland ist ohne freiheitliche Tradition, ihm fehlt das wirkliche Bürgerbewußtsein, ihm fehlt der Stolz des Zivilisten gegenüber der Uniform. Immer wieder ist den deutschen Untertanen in der Kaiserzeit eingebleut worden, daß es ein Frevel am Volke sei, dem Militarismus irgend etwas zu verweigern. Das ist in der Republik um kein Jota besser geworden, im Gegenteil. Und diese Situationen benutzen nun seit zehn Jahren die Reichswehrchefs, um dem Herrschaftswillen ihres Amts immer neue Gebiete zu unterwerfen und sich in Dinge einzumischen, die sie nicht das mindeste angehen. Wir haben es zum Beispiel erlebt, daß General von Seeckt gern auf eigne Faust Außenpolitik trieb. Damals erhoben Stresemann und zahlreiche bürgerliche Politiker, denen es durchaus nicht an starkem deutsch-patriotischem Gefühl im herkömmlichen Sinne fehlte, Einspruch und wiesen den General in seine Schranken zurück. Heute jedoch kommt das nicht mehr vor, und es ist auch gar nicht mehr nötig, weil sich die Außenpolitik in aller Ruhe dem Reichswehrministerium angepaßt hat… Heute sind wir so weit gekommen, daß der sogenannte Wehrgeist ausschließlich im Mittelpunkt der Politik steht; der Staatsbürger wird nicht mehr danach gefragt, wie er es mit der Republik hält, sondern ob er ‚wehrfreudig‘ ist.“

Empfohlene Zitierweise:
Carl von Ossietzky: Rechenschaft. Berlin: Verlag der Weltbühne, 10. Mai 1932, Seite 11. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rechenschaft_19.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)