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Jetzt geb ich meinen Degen also in der Garderobe ab. Was ist noch zu sagen?

Die schöne Schildpattbrille mit den blauen Gläsern, die mir eine meiner zahlreichen Verehrerinnen für die Flucht gewidmet hat, vermache ich Herrn General von Schleicher. Item den falschen Bart, den mir ein alter Abonnent in Prag gestiftet hat. Er wird das einmal brauchen können.

Item soll Herr Reichsanwalt Jorns ein gut erhaltenes Exemplar der Rede von Paul Levi erben, die sich mit seiner Person befaßt.

Ich danke allen guten Menschen, die mich für die Zeit meiner Gefangenschaft mit Schokolade versorgen wollen. Da mir nicht viel an Süßigkeiten liegt, bitte ich, sie gütigst an den Vierten Strafsenat richten zu wollen. Während des Prozesses habe ich die Beobachtung gemacht, daß die Herren Reichsrichter jedesmal in der Stunde vor der Tischpause Zeichen von Unruhe und hoher Ermüdung bemerkbar werden ließen. Schon Julius Cäsar sprach das Lob der wohlgenährten Männer. Wäre er nicht Diktator gewesen sondern Angeklagter, so würde er gewiß gesagt haben: Hungrige Richter sind gefährlich…

Item sind mir zugedachte ausländische Zeitungen an Herrn Jöl zu senden, der gern hervorhebt, ein sachlicher, unpolitischer Beamter zu sein und nicht viel auf Pressestimmen, und namentlich ausländische, zu geben. Die deutsche Justiz könnte davon profitieren.

Alle Autoren, die ich zu lange auf den Abdruck ihrer Manuskripte warten ließ, bitte ich hiermit inständigst um Vergebung. Item alle, zu denen ich am Telephon sagte: Nächste Woche… Item bitte ich Herrn Walter Mehring, mir zu verzeihen, daß ich sein Buch noch nicht besprochen habe. Er soll bald über Paris schreiben.

Item bitte ich das deutsche Volk, einig in allen seinen Stämmen, sich nicht gegenseitig ausrotten zu wollen, damit es der ,Weltbühne‘ nicht an Stoff fehlt. Ich glaube, es wird in den nächsten achtzehn Monaten nicht langweilig sein in Deutschland.

Es haben mir in diesen Monaten viele Kollegen, mit denen ich früher die Klinge kreuzen mußte, Sympathie gezeigt und Freundlichkeiten erwiesen. Es sind viele Damen und Herren tatkräftig für mich eingetreten, die sich oft über die ,Weltbühne‘ geärgert haben. Ich danke ihnen allen, daß ihr Solidaritätsgefühl sich stärker erwies als ihr Gedächtnis.

Von allen aber, die meine Arbeit in dem roten Heft freundlich oder feindlich verfolgt haben, verabschiede ich mich wie der brave Soldat Schwejk von dem alten Sappeur Woditschka: „Also nachn Krieg, um sechs Uhr Abend im ,Kelch‘!“

Empfohlene Zitierweise:
Carl von Ossietzky: Rechenschaft. Berlin: Verlag der Weltbühne, 10. Mai 1932, Seite 14. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rechenschaft_21.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)