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„Enfin, je dois ajouter que j’ai sollicité la publication de cet exposé sans le concours et à l’insu de M. von Ossietzky et de ses avocats, qui, pour des motifs juridiques, auraient pu ne pas l’approuver.“

Nein, es sind nicht nur juristische Motive; hier irrt Kreiser. Sein Vorgehen ist nicht nur politisch schädlich sondern auch in jedem unpolitischen Sinn einfach wahnwitzig. Er hat den roten Talaren von Leipzig den unerhörten Gefallen getan, ihr Urteil nachträglich zu rechtfertigen.

Ich verstehe durchaus, daß dieses Urteil bei den Betroffenen Ressentiments hervorrufen konnte, aber hier mußte eine natürliche Lebensklugheit regulieren und desperate Akte verhindern. Kreiser hat uns die Möglichkeit genommen, nach einem bestimmten Plan zu arbeiten. Er hat es nicht für nötig befunden, sich mit unsern Anwälten über die künftige Taktik auszusprechen. Er hat sich still entfernt und unter dem Patronat des Herrn Pironneau, eines erzchauvinistischen französischen Militärschriftstellers, seinen eignen Krieg eröffnet.

Damit hatte Kreiser uns alle lahmgelegt. Ein paar Tage nach dem Prozeß konnten wir uns noch nicht über die künftige Strategie klar sein. Wir mußten Pressestimmen, Auslandswirkung abwarten. Nur über eines bestand bei uns nicht der mindeste Zweifel: wir wollten diese Sache nicht auf uns sitzen lassen, wir wollten unsre juristische Rehabilitation betreiben. Unser fernes, zunächst nur vage durch Zukunftsnebel schimmerndes Ziel hieß: Wiederaufnahme! Das war in dem Augenblick in Frage gestellt, wo einer der beiden Verurteilten abhanden gekommen war.

Der Fall hieß zunächst Kreiser-Ossietzky. Heute heißt er überhaupt nicht mehr. Es gab eine gemeinsame Sache, das Recht auf Kritik an der Verwendung öffentlicher Mittel zu verteidigen, auch wenn dadurch unberechtigte Sonderinteressen des militärischen Ressorts verletzt werden sollten. Kreisers Artikel „Windiges aus der deutschen Luftfahrt“ hatte für alle vernünftigen Menschen nur einen Sinn: er mahnte zur Budgetgerechtigkeit, zur sparsamen Verwendung von Steuergeldern. Dem Reichsgericht war es vorbehalten geblieben, durch seine Auslegung das normalste staatsbürgerliche Recht zum Verbrechen umzubiegen. Hier war der Hebel anzusetzen.

Eine gemeinsame Sache Kreiser-Ossietzky gibt es nicht mehr. Nach Kreisers privater Kriegserklärung an den deutschen Militarismus mußte ich den Mund halten, denn was eben noch anständige grade Linie hatte, warf plötzlich einen fatalen krummen Schatten. Die ,Weltbühne‘ war durch Kreisers Artikel zwar gefährlich aber höchst ehrenvoll engagiert. Diese Position galt es zu festigen, statt dessen hat Kreiser sie zerstört. Von nun an hatte ich nicht mehr eine Sache sondern nur noch meine persönliche Integrität zu verteidigen. Von nun an lebte ich buchstäblich von dem Vertrauen der Leute, keiner

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Carl von Ossietzky: Rechenschaft. Berlin: Verlag der Weltbühne, 10. Mai 1932, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Rechenschaft_5.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)