Seite:Reventlow Werke 0538.png

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Alte will an all unsre Eltern sofort schreiben, und wir haben schon einen Preis ausgesetzt, wer den ärgsten Brief von zu Hause kriegt. Ich hab' aber doch verfluchte Angst vor den jungen Leuten. Denk' nur, wenn sie mich hier wirklich herausgeworfen hätten, es war nicht mehr weit davon. — Also es war so: Unsre Erste war letzten Sonntag nicht da, Editha als Zweite sollte sie vertreten, und wir überredeten sie, den Abend volle Freiheit zu geben. Als das Mädchen fort war, standen wir wieder auf. Maria Besserer blies die Mundharmonika, und wir sangen und tanzten. Nun ist hinten am Saal eine Tür, die auf den Speicher geht, und da bekamen wir Lust, eine Entdeckungsreise zu machen. Editha ging mit der Nachtlampe voran. Du glaubst nicht, wie schön sie war mit ihren langen, schwarzen Haaren. — Erst hielt sie noch eine Rede über die Mysterien des Stiftes: wir sollten uns gefaßt machen, auf eingetrocknete Blutflecken und Leichen von früheren Stiftskindern zu stoßen. Einige wurden so bange, daß sie wieder in ihre Betten krochen.

Dann kamen wir in lauter alte Bodenräume, voll Gerümpel und Spinneweben, und überall schien der Mond herein. Editha und ich stiegen auf die Leitern in den Turm hinauf, durch die Luke hinaus und rutschten das ganze Kapellendach entlang. Das haben die dummen Gänse nachher, als sie ausgefragt wurden, alles erzählt.

Nachher stellten wir die Lampe auf den Boden und tanzten einen Indianertanz drum herum. Dabei haben wir so gehopst, daß wir den andern Tag ganz lahm waren.

Zuletzt liefen wir noch auf den Korridor hinaus und brachten dem vierten Schlafsaal ein Ständchen und warfen ihnen Stiefel ins Bett.

Die haben uns dann angezeigt — ist das nicht eine Gemeinheit? Die Alte kam selbst in die Klasse, alle sagten, so wütend hätte man sie noch nie gesehen. ‚Die Sünde ist unter euch wie ein fressender Eiter,' sagte sie einmal — dabei platzte ich heraus, und nun fuhr sie auf mich los: ich wäre die Anstifterin, das

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 538. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0538.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)