Seite:Reventlow Werke 0558.png

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daß ich jetzt an Sie schreibe — es ist bald fünf Uhr, unten auf der Straße rasseln schon Milchwagen, ich liebe nichts mehr, als so eine Nacht durch aufbleiben, und heute wäre es mir unmöglich gewesen zu schlafen.

Es kommt mir wie ein Wunder vor, daß ich nun wirklich einen Menschen gefunden habe, dem ich alles sagen kann und der mein Freund sein will. Sie machen sich ja keinen Begriff davon, wie allein ich war und wie todunglücklich ich mich von jeher zu Hause gefühlt habe, besonders in diesem letzten Jahr, wo auch Detlev mir immer fremder wurde. Sie wollten mir das nicht recht glauben, aber es ist wirklich so: meine Mutter sieht es nicht gerne, wenn ich viel mit ihm zusammen bin. Sie hat ihm das Versprechen abgenommen, mich keine modernen Bücher lesen zu lassen und mich mit seinem Verkehr nicht in Berührung zu bringen. Nur unter der Bedingung darf ich mit ihm ausgehen, die Eltern sind ja schon außer sich, daß er so in all diese Sachen hineingekommen ist und mit freidenkenden Menschen verkehrt. Aber Sie können sich vorstellen, wie mir dabei zumut war, wenn er mir von Ihnen und den andern erzählte, wie von einer Welt, die mir immer verschlossen bleiben sollte. Dann fand ich eines Tages auf seinem Schreibtisch ‚Brand' und ‚Peer Gynt' und nahm es mir herüber. Ganze Tage habe ich darüber zugebracht und konnte weder essen noch schlafen, nur immer wieder lesen, sowie ich allein war. Es kam mir vor, als ob jedes Wort für mich geschrieben wäre, ich wußte mit einemmal, daß es keine unmöglichen Hirngespinste waren, mit denen ich kämpfte, — wenn sich alles in mir sträubte gegen das Leben, das man mir aufzwingen will. Früher empfand ich es immer als eine Art Unrecht gegen meine Eltern, mich so dagegen aufzulehnen und heimliche Sachen zu tun, aber nun ging es mir plötzlich auf, daß jeder ein unveräußerliches Recht an sein Ich und sein eigenes Leben hat. Wissen Sie die Stelle: das Eine darfst du nie verschenken, — dein Selbst, dein Ich, den heilgen Dom — du darfst's nicht binden — nicht es

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0558.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)