Seite:Reventlow Werke 0647.png

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wiedersahen, wurde sie wieder schwankend. Er war so strahlend froh, sie wieder zu haben, fühlte sich ihrer so sicher — und Ellen empfand seine tiefe, große Liebe wie ein Stück ihres Lebens, über das doch nicht so leicht hinwegzugehen war. Bei ihm überkam sie immer ein Gefühl von Schutz und Heimat, er war der, an den sie sich anschmiegen konnte, der alle weichen und sehnsüchtigen Saiten in ihr zum Klingen brachte. Und im Grunde fürchtete sie sich auch etwas vor ihm, vor seinem Zorn, seiner geraden, sicheren Klarheit, die solche Wege nie verstehen würde.

Für die Festtage fuhren sie zu Verwandten von Reinhard, dann waren sie noch zwei Tage zusammen in München. Ellen wohnte mit ihm im Hotel, sie hatte selbst den Anstoß dazu gegeben, denn sie empfand es wie eine Art Ausgleich, wenn sie jetzt auch ihm angehörte. Und diese Stunde, vor der sie gezittert hatte, kam und ging vorüber — ihm kam keinen Augenblick der Gedanke, daß Ellen ihn hintergehen könnte.

Als er abgereist war, ging Ellen durch die Winterfrühe vom Bahnhof ihrer Wohnung zu. Neujahrsmorgen — sie dachte an ferne Zeiten, wo sie diesen Tag mit guten Vorsätzen und frommen Gelübden begann — das war immer etwas Frohes, Klares, Anfangsfrisches gewesen, und jetzt alles so verworren in ihr. — Wie fingen es wohl andre an, um glatt durchs Leben zu kommen, und warum wurde es einem immer so schwer gemacht durch all dies Binden und Verpflichten. In ihrem eignen Gefühl war nichts, was dem widersprach, mit beiden das Leben zu teilen, weil jeder ihr etwas war, was der andre nicht sein konnte.

Henryk war auch über Weihnachten fortgefahren und noch nicht zurück. So lebte Ellen die nächste Zeit fast ausschließlich in ihrer Arbeit, die war und blieb doch das Erste und Größte und das, worin sie Ruhe fand vor allem, was in ihr stritt und wogte. Und darin wollte sie Reinhard keinen Schritt weichen. — Wenn er ihr auch noch so viel Freiheit zugestand, ehe sie wirklich imstande war, allein weiterzukommen,

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Fanny Gräfin zu Reventlow: Ellen Olestjerne. München: Albert Langen, 1925, Seite 647. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Reventlow_Werke_0647.png&oldid=- (Version vom 1.8.2018)