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31. Heraklit von Ephesus


1. Kapitel: Vierter Brief
1
Heraklit an Hermodor.
2
Zürne nicht, Hermodor, weiterhin auf dein Schicksal!
3
Euthykles, der Sohn des Nikophon,

der vor zwei Jahren das Heiligtum der Göttin geplündert hatte,
klagte mich der Gottlosigkeit an, –
er, der einen hochgebildeten Mann nur durch seine Unbildung überragt, –
ich hätte in den mir anvertrauten Altar
meinen Namen eingeschrieben
und mich so aus einem Menschen zu einem Gott gemacht.

4
So soll ich also auf die Anklage eines Gottlosen durch gottlose Richter

der Gottlosigkeit geziehen werden.

5
Was meinst du?
6
Scheine ich ihnen fromm zu sein,

ich, der ich über die Götter eine abweichende Ansicht habe?

7
Wollten Blinde über den Gesichtssinn urteilen,

dann würden sie als Blindheit die Sehkraft bezeichnen.

8
Aber ihr ungebildeten Leute!

Lehret uns zuerst, was Gott ist!
Dann erst verdienet ihr Glauben,
wenn ihr uns der Gottlosigkeit zeihet.


2. Kapitel
1
Wo ist aber Gott?

Ist er in den Tempeln eingeschlossen?
Ihr seid freilich fromm, die ihr Gott im Dunkel wohnen lasset!

2
Ein Mensch würde schelten, hieße man ihn steinern.

Gott aber soll, wie man sagt, aus Felsen geboren sein?

3
Ihr Unbelehrten! Wisset ihr nicht,

daß Gott nicht von Händen gebildet ist,
und daß er kein Fußgestell braucht,
und daß er nicht durch eine Mauer eingeschrankt ist,
sondern daß ihm die ganze Welt mit ihrem bunten Schmuck
an Tieren, Pflanzen und Sternen zum Tempel dient?

4
Ich schrieb den Namen des ephesinischen Herakles auf den Altar,

– ich wollte ja den Gott so in eure Bürgerschaft aufnehmen, –
nicht aber Heraklits Namen.