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die die Gerechtigkeit, Starkmut, Mäßigung und Klugheit hindern,
und auch diese nicht so, daß sie sie ausrottet,
sondern nur so, daß sie ihnen nicht nachgibt.

2
So kann niemand unter euch z. B. die Gier ausrotten;

aber die Vernunft kann es dahin bringen,
daß ihr nicht Sklaven der Gier werdet.

3
Niemand von euch kann die Erregung aus der Seele ausrotten;

aber möglich ist es, der Erregung zu helfen.

4
Niemand von euch kann die Bosheit ausrotten;

aber die Vernunft kann doch wohl mitkämpfen,
daß man sich von der Bosheit nicht niederzwingen läßt.

5
Die Vernunft ist ja nicht Entwurzlerin,

sondern Bekämpferin der Triebe.

6
Dies kann man an der Geschichte von Königs David Durst

noch mehr verdeutlichen

7
David hatte einmal einen ganzen Tag mit den Philistern gekämpft

und viele von ihnen mit Hilfe der Krieger seines Volkes getötet.

8
Nun begab er sich am Abend

schweißbedeckt und recht ermüdet zum königlichen Zelt,
um das sich das ganze Heer der Vorfahren gelagert hatte.

9
Nun waren die andern alle beim Essen.
10
Der König aber litt heftigsten Durst.

Nun flossen freilich die Quellen bei ihm überreichlich;
der König aber vermochte nicht, aus ihnen seinen Durst zu stillen.

11
Vielmehr dörrte ihn eine unvernünftige Begierde nach dem Wasser der Feinde aus;

sie steigerte sich immer mehr
und verzehrte ihn mit erschlaffender Glut.

12
Schon begannen die Schildträger über des Königs Gier zu murren.

Da legten zwei Jünglinge, tapfere Krieger,
voll zarter Rücksicht auf des Königs Verlangen,
ihre ganze Rüstung an, nahmen ein Gefäß
und überstiegen das feindliche Pfahlwerk.

13
Sie schlichen, unbemerkt von den Torwächtern, im ganzen Feindeslager umher,
14
machten so voller Mut die Quelle ausfindig

und holten daraus den Trunk für den König.

15
Dieser aber, obschon von Durst verbrannt, bedachte,

daß solch ein Trunk, der als gleichwertig mit Blut anzusehen ist,
eine ganz furchtbare Gefahr für die Seele sei.

16
Deshalb stellte er der Begierde die Vernunft gegenüber

und spendete Gott den Trunk.

17
Der nüchterne Verstand ist ja fähig,

den Drang der Triebe zu überwinden und die Flammen der Brunst zu löschen,

18
die körperlichen Schmerzen,

mögen sie auch übermäßig stark sein, niederzukämpfen
und durch die treffliche Vernunft
alle Herrschaftsgelüste der Triebe zu verabscheuen.

19
Doch die Zeit mahnt uns, die Geschichte der nüchternen Vernunft fortzusetzen.
20
Tiefen Frieden und großen Wohlstand hatten unsere Väter