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Sie hatten vielmehr durch die bei Gott in hohem Ansehen stehende Vernunft,
die Triebe besiegt.

4
Auch ist die Überlegenheit des Verstandes nicht zu übersehen;

denn sie beherrschten sowohl Triebe als Schmerzen.

5
Wie sollte man nicht der Vernunft

die Oberherrschaft über die Triebe denen zugestehen,
die sich um Feuerqualen nicht kümmerten?

6
Wie die vorspringenden Hafentürme den Wogenprall zurückwerfen

und den Einlaufenden einen ruhigen Ankerplatz gewähren,

7
so war auch die siebentürmige Vernunft der Jünglinge

ein Bollwerk für den Hafen der Frömmigkeit,
indem sie den Schwall der Triebe überwand.

8
Sie stellten einen heiligen Chor der Frömmigkeit dar;

sie ermunterten ja einander mit solchen Worten:

9
„Brüder! Laßt uns brüderlich für das Gesetz sterben!“

„Laßt uns die drei Jünglinge in Syrien nachahmen!
Sie verachteten die gleiche Feuerprobe.“

10
„Laßt uns nicht feige sein, wenn es die Probe der Frömmigkeit gilt!“
11
„Getrost, Bruder!“ rief einer;

ein anderer „Wacker ausgehalten!“

12
Wieder einer „Bedenket, von wem ihr abstammet!“

oder „Wer war der Vater,
durch dessen Hand sich Isaak um der Frömmigkeit willen schlachten lassen wollte?“

13
Und sie schauten sich gegenseitig an,

alle strahlend und hochgemut, und sprachen:
„Wir wollen uns von ganzem Herzen Gott weihen, der uns die Seele gab,
und unsere Leiber zum Schutz für das Gesetz hingeben.

14
Wir wollen uns nicht fürchten vor dem, der meint, töten zu können.
15
Schwer ist ja für die Seele der Kampf und die Gefahr,

die in der ewigen Qual für die Übertreter des Gottesgebotes liegt.

16
So wollen wir uns denn mit der göttlichen Vernunft,

der Herrscherin über die Triebe, waffnen.

17
Leiden wir so, dann nehmen uns Abraham, Isaak und Jakob auf

und alle Väter spenden uns Lob.“

18
Und jedem einzelnen Bruder, der weggeschleppt wurde,

riefen die Zurückbleibenden zu:
Bruder! Mach uns keine Schande!
Verleugne nicht die in den Tod Vorausgegangenen!

19
Aber ihr kennt ja selbst die Zauberkraft der Bruderliebe.

Die göttliche und allweise Vorsehung
teilte sie durch die Väter den Kindern zu
und pflanzte sie durch den Mutterschoß ein.

20
Darin wohnt jeder Bruder gleich lange Zeit,

entwickelt sich in gleich langer Frist,
erhält vom gleichen Blut sein Wachstum
und von dem gleichen Leben seine Reife,

21
wird nach Ablauf einer gleichlangen Zeit zur Welt gebracht

und trinkt Milch aus den gleichen Quellen,