Seite:Samuel zieht die Bilanz und Tomi melkt die Moralkuh oder Zweier Könige Sturz.pdf/88

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Zuweilen aber gebärden sich die snobfeinen Romänchen ganzDas „Goethische“ bei Tom. Der Sänger der Liberalität. dionysisch-berauscht. Denn Tom hat „Leidenschaft“. Er haßt zum Beispiel aufs tiefste alle Leuten die nicht edel und gebildet sind. Jeden Sonntag wirft Tom fünfundzwanzig Pfennig in die Armenbüchse; denn er hat auch Seele... Die Menschen seiner in den feinsten Kreisen spielenden Romane sind so nobel, wie die Welt in Paul Heyses Novellen. Ein Bankkapitälchen in den Tresors der bairischen Filiale der deutschen Bank zu München ist stillschweigende Voraussetzung einer bürgerlichen Poesiewelt der gebildetsten Gefühle. Es ist eine moralisch-unsittliche Welt. In ihr gedeihen keine Heroen. In ihr legt niemand seinen Kopf auf den Block. In ihr lebt gut bürgerliche Moral des gefüllten Gänsebratens und garnierten Caviars. All’ diese Menschen schleppen ahnungslos eine Atmosphäre belletristischen Gefühles. Sie sind Geschöpfe der Kunst und Literatur. Nicht Menschheit, sondern gute deutsche Prosa, nicht Daseinsproblematik, sondern guter Kunstgeschmack steht in Frage. Nie würde Tom, so wie Heinrich „unmoralische“ Bücher schreiben, aber auch nie, wie Dostojewski oder Zola ethische. So weit Toms Menschheit nicht gesellschaftsfähig ist, ist sie eben „desequilibriert“. Denn so tief steckt dem deutschen Lieblinge aller guten Familien sein Wertprämeditiv in den Knochen, daß er selbst nicht fühlt, bis zu welchem Grade überkommene Ordnung aus ihm dichtet und seine konventionell geschmackvollen Werke fernerückt den großen Infragestellern und echten Freimachern der Seele.

2.

Es ist die mittlere Breite eines gemütreichen bürgerlichen Liberalismus, in der Tomis schöne Bilderwelt gedeiht. Sie ist keine Ewigkeits- und keine Kulturangelegenheit. Aber sie gehört zum Bildungsinventar unserer guten Gesellschaft. Für diese nämlich gilt ein unbewußtes Prämeditiv, welches die Welt stillschweigend gliedert in solche, die dazugehören, und solche, die nicht dazugehören. Wenn beispielsweise ein bürgerliches Programm vom Schutz der weniger bemittelten Klasse spricht, dann geriert sich ein Teil, der „es hat“, naiv und mit Fug als Gewährer und Protektor für die anderen, die „es nicht so haben“. Ihre Toleranz ist Selbstgerechtigkeit, ihre Liberalität Seelendünkel. Der gesellschaftliche Mensch, der Herr, die Dame setzen nicht den andern sich gleich, sondern autorisieren sich zu vormundschaftlicher Beglückung aller zufällig Schwächern...