Seite:Samuel zieht die Bilanz und Tomi melkt die Moralkuh oder Zweier Könige Sturz.pdf/92

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Seelennot geworden: das Dahinsterben, der Wahnsinn, dieEnde des Egotismus. Kunst als Tat. Roheit, die Ungerechtigkeit, die Problematik einer technisch neuen Erde dreifach, bald zehnfach vermehrten europäischen Menschengewimmels... so können schöne Werke bloßer Geschmackskultur, auch der reifsten, nicht mehr sättigen, so kann keine Schöngeisterseele mehr zu glücklichem Genießertraum locken, die an den ethischen Höllen mit ästhetischer Lebenslüge sich vorbeischleicht und Gletscher der Erkenntnis unbestiegen läßt...

Was bedeuten uns also Thomas Manns nette Romane? Schöne Bücher, sehr schöne Bücher! Zweige blühenden Treibhausflieders! Sie dauern nicht länger, als die Leihbibliotheken, die sie ausleihen, als die, ach sehr sterbliche Gesellschaft, deren Kuh Tomi, der zarte Hirtenknabe, auf die fetteste Weide führt!




Glaubt Ihr, das Menschenleben sei Gelegenheit zu schönen Büchern? Meint Ihr, die Weit sei Anlaß zu belletristischer Moralität? Tout est matière pour nous? Ach, das Treibhaus predigt Renaissance! Aber es kommt, wovon Ihr den Namen im Munde führt: Kulturpsychologie! Sie durchschaut Eure Wertwelt. Die Zustände des Ich, das ist alles, was Ihr zu künden habt. Und je defekter dieses Ich.. um so subtiler gerät Euch die Kultur seiner Ausschmückung. Ihr rechtfertigt ein unheroisches Leben durch erklügeltes Kunstwerk. Kein Erdengeschöpf sagte und sang mehr von Liebe. Keines war verschenkender Wärme, verantwortender Liebe ärmer. Schöne Gefühle, Flutungen, Stimmungen waren die schnellverwehte Ernte hochkultivierter Mußen. Aber kennt Ihr das tägliche Morgen–, tägliche Abend-Gebet neuer Dichter-Denker kommender Welt: „Mögen wir geweiht sein, den Kopf auf den Block zu legen für das, woran wir glauben“.