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MARQUIS POSA.
(Don Carlos.)


Niedrige Naturen haben keine idealen Zwecke, gewöhnliche vermögen sie nur in der Jugend festzuhalten, edle nehmen sie auch in das Mannesalter hinüber, erweitern und vertiefen sie dort. Zu diesen letztern gehört Schiller’s Posa, in dem der Dichter mit solcher Meisterschaft jene echte Seelengrösse zu schildern gewusst hat, deren heiliges Feuer in ihm selbst loderte.

Tritt bei Don Carlos das weibliche Element des Charakters aufs entschiedenste hervor, so bei Posa das männliche. Philipp wie Carlos, am meisten die Königin, trotz ihrer so ganz verschiedenen Standpunkte fühlen überall heraus, dass ihm grosse ideale Interessen durchaus über die persönlichen gehen. Dass ihm ein einzelner auch noch so theurer Freund gegen die ganze Menschheit nichts gilt, das malt sich gleich in der Scene des Wiedersehens mit Carlos, wo er, ohne sich um Carlos’ Seelenschmerz viel zu kümmern, fast nur seiner Enttäuschung Raum gibt, ihn nicht so zu finden, wie er gehofft:

So war es nicht, wie ich Don Philipp’s Sohn
Erwartete. . . .
  Das ist
Der löwenkühne Jüngling nicht, zu dem
Ein unterdrücktes Heldenvolk mich sendet. . . .
Ein Abgeordneter der ganzen Menschheit
Umarm’ ich Sie – es sind die flandrischen
Provinzen, die an Ihrem Halse weinen
Und feierlich um Rettung Sie bestürmen.

Es verstand sich beinahe von selbst, dass der Künstler ihn in dieser Scene auffassen musste, wo das Heroische, Thatkräftige, Entschlossene

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 121. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/146&oldid=- (Version vom 1.8.2018)