Seite:Schiller-Galerie.pdf/17

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Wer hätte sie auch nicht geliebt, wem hätte sie nicht mit heiligen Schauern das Herz durchglüht, da er noch jung und edelmüthig war, wen hätte sie nicht erhoben und erschüttert, erwärmt und verjüngt, wenn er der Geliebten der Jugend in spätern Tagen, im Herbste des Lebens wiederbegegnete, und ihr göttlich ernstes Antlitz alle Entzückungen, alle begeisterten Gefühle der Jugend in ihm wieder wach rief! Haben wir alle sie erst glühend angebetet, um sie darauf für lange im Sturme des Lebens ausser Augen zu verlieren, ja vielleicht sogar zu miskennen, so erstaunen wir nun um so mehr, wenn wir beim endlichen Wiedersehen finden, dass wir sie jetzt noch höher achten müssen, da wir sie besser verstehen. Was sie früher unserm Herzen war, das wird sie später unserm Geiste, wir sehen eine neue Seite der Göttin nur, die uns einst durch ihren Zauber gefangen nahm, während sie uns jetzt erhebt und befreit.

Kinder gleichen aber bekanntlich nicht blos der Mutter, sondern zeigen öfter noch das Gesicht der Väter. Es ist das ein unvermeidliches Uebel, wie überall, so auch in unserm Fall, wo ohnehin die Vaterrechte unbestrittener sein müssen als die Ansprüche an die Mutter. Wo es aber auch dem einen oder andern von ihnen gelungen wäre, an ihre geliebten Züge wieder zu erinnern, so ist sein Schicksal gesichert. Den ganzen Adel, die volle Erhabenheit der Schiller’schen Muse zu erreichen – darauf mussten billig die Künstler von vornherein verzichten! Deutschland besitzt noch keinen Maler, der dem Dichter Schiller ebenbürtig wäre, und am wenigsten haben die Zeichner der Schiller-Charaktere eine solche Prätension. Wenn ein Künstler aber darauf verzichten muss, die ganze Schönheit und Hoheit seines Originals zu erreichen, den Geist vollständig zu erfassen, der die einzelnen Züge durchdringt und verklärt, so kann er doch versuchen, wenigstens diese letztern fein zu beobachten und treu wiederzugeben. Er wird in diesem Falle immerhin ein lebendiges und ähnliches Bildniss hervorbringen, und zwar um so mehr, je individueller er es durchzubilden sucht. Die Phantasie des mit dem Original wohlvertrauten Beschauers wird dadurch angeregt werden das zu ergänzen, was dem

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite X. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/17&oldid=- (Version vom 1.8.2018)