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Thekla ist eben aus dem Kloster herausgetreten, der giftige Hauch der Welt hat noch keine ihrer sittlichen Ueberzeugungen wankend gemacht, sie hat noch nicht gelernt, sich mit irgendetwas abzufinden: es ist eine ganze, ungebrochene Natur, edel, enthusiastisch, hochsinnig, schwärmerisch, aber auch heftig, unbeugsam, kühn und trotzig, wie der Vater. In dieses bisher im klösterlichen stillen Frieden, der Einsamkeit der Zelle ruhig aufgeblühte Gemüth fällt nun auf einmal die Liebe wie ein Sonnenstrahl hinein, der das ganze Leben plötzlich wach ruft, es rasch zum Bewusstsein aller seiner Kräfte bringt.

Dass die Liebe die Frauen klüger, die Männer blinder macht als sie vorher waren, ist ein alter Erfahrungssatz; so wird auch hier, während Max gar nicht mehr sieht, was um ihn vorgeht, das noch eben unerfahrene, schüchterne Mädchen in raschem Wechsel scharfsehend, fest, klug und umsichtig, ihr Herz ahnt schnell, wo eine Gefahr für die Liebe droht, wer es ehrlich oder falsch mit ihr meint, sie warnt Max sogleich vor „diesen Terzkys“:

Trau ihnen nicht. Sie meinen’s falsch. . . .
 Ich sah es gleich,
Sie haben einen Zweck. . . .
  Es ist nicht
Ihr Ernst, uns zu beglücken, zu verbinden.

Sie fühlt, dass sie nichts auf die Mutter bauen darf, sie findet den Vater zu beschäftigt,

Als dass er Zeit und Musse konnte haben,
An unser Glück zu denken.

Wie rücksichtslos sich diese Natur der ganzen Macht der Liebe hingibt, motivirt sie schon durch die Sorge für den Geliebten:

Wo aber wäre Wahrheit hier für dich,
Wenn du sie nicht auf meinem Munde findest? –

oder wenn sie singt:

Ich habe genossen das irdische Glück,
Ich habe gelebt und geliebet –

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 178. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/203&oldid=- (Version vom 1.8.2018)