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BURLEIGH.
(Maria Stuart.)


Wenn man Staatsmänner richtig würdigen will, so darf man ihr Thun nicht vom privatrechtlichen Standpunkt aus betrachten. Man muss sich die Zeit und die Umstände, unter denen sie handeln, vor allen Dingen vergegenwärtigen. So sehen wir Burleigh inmitten der heftigsten bürgerlichen Kämpfe auftreten, es ist ihm und der Königin endlich gelungen, dem Reiche eine bisher unbekannte Grösse, Macht und wenigstens äussern Frieden zu verschaffen, das alles wird aber fortwährend durch die Existenz der gefährlichen Prätendentin in Frage gestellt.

Ist in Schiller’s Tragödie bei den beiden Frauen fast ausschliesslich blos die weibliche Natur hervorgehoben, die unversöhnliche Gegnerschaft zweier Nebenbuhlerinnen, die sich nicht nur einen Thron, sondern auch nicht minder das Herz eines geliebten Mannes bestreiten, so sehen wir im Lord-Grossschatzmeister den kalten Repräsentanten der Staatsraison, den unerschütterlichen Vertreter der protestantischen Partei. Der Eindruck einer gewissen Herzlosigkeit ist bei diesem einseitigen hervorkehren blos verständiger Erwägung unvermeidlich, Schiller hat ihn noch durch juridische Arglist geschärft: Burleigh hasst in Maria die Papistin, in Leicester den Günstling der Königin. Er ist vollkommen gleichgültig in der Wahl der Mittel, wenn er nur den Zweck erreicht, ganz wie Mortimer auf der katholischen Seite. Wenn er daher scheinbar die grossen Principien des Rechts festhält, das gegen jedermann ohne Ansehen der Person geltend gemacht werden müsse:

Wie ständ’ es um die Sicherheit der Staaten,
Wenn das gerechte Schwert der Themis nicht
Die schuld’ge Stirn des königlichen Gastes
Erreichen könnte, wie des Bettlers Haupt? –

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 233. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/258&oldid=- (Version vom 1.8.2018)