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hochfliegendem Geiste musste der letztere Fall eintreten, die Neigung und also auch das Auftreten von Visionen lag bei solcher Seelenstimmung wol ganz nahe, da aber musste sich ihre Erscheinung nothwendig an das knüpfen, was ihre Seele am meisten bewegte. Dass zu der Zeit das dumpfe Tosen der Stürme, die ihr Vaterland durchrasten, auch endlich an ihr Ohr drang, ihr Herz mit energischem Hasse gegen die fremden Unterdrücker füllte, ist vollkommen begreiflich, nicht minder als die ungeheuere Wirkung, die er in diesem Gemüthe, das nur noch einen Gegenstand für seine Begeisterung suchte, ausüben konnte.

In diese einfache und grossartige Natur fiel der Gedanke an die Noth des Vaterlandes wie ein Funke, der ihr ganzes Innere in Flammen setzte, das nur ein würdiges Ziel gebraucht hatte, um sich zur grössten Ekstase zu erheben, in der sie ihren Angehörigen, deren Seelen nicht gleichen Schwunges fähig, wie ein Räthsel erscheinen musste. Einem aufgeregten, von Natur aus schon heroischen Gemüthe lag der Wunsch, des Vaterlandes Befreiung zu versuchen, durchaus nicht so fern, sowenig als dass aus diesem Wunsche die Träume und Gesichte der Nacht eine Vocation, – eine Pflicht machten.

Dass die plötzliche Erscheinung der begeisterten Jungfrau aber bei einem Volke, welches jederzeit des Umschlags in den grössten Enthusiasmus aus der äussersten Muthlosigkeit und umgekehrt fähig war, um so mehr zünden musste, wenn sie eben dann auftrat, als die letztere, erzeugt durch das unentschlossene Benehmen des Königs, ihren höchsten Grad schon überschritten hatte, die durch langes Misgeschick entmuthigte Nation, durch den Druck und die Schande aufs höchste gereizt, sich bereits wieder sagte:

Nichtswürdig ist die Nation, die nicht
Ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre –

dies alles ist, wenn auch merkwürdig und im höchsten Grade interessant, doch keineswegs unerklärlich. Im Gegentheil, dass sie bei dieser ersten Ueberraschung den Umschlag in diesen Enthusiasmus, der alles vor sich niederwarf, bewirken konnte, ist um so erklärlicher, als zahlreiche Weissagungen aller Art die Geister der Masse nicht nur,

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 242. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/267&oldid=- (Version vom 1.8.2018)