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eigentliche Persönlichkeit gedacht, in der Ausführung gerathen sie ihm aber ganz anders und gewinnen ein individuelles Leben, das sehr viel mehr werth ist als was der Dichter eigentlich gewollt hat. Unsere Erfindungsgabe hängt eben nicht von uns ab, wie ja schon die Sprache tiefsinnig zeigt, die in solchen Fällen fast immer recht hat, da sie „erfinden“ von „finden“ ableitet. Aus diesem Grunde ist denn auch in gar vielen Figuren ein gewisser Widerspruch zwischen ihrem Sprechen und ihrem Handeln, weil der Dichter bald seiner Inspiration folgt, die ihn allemal richtig leitet, und bald seinem Dogmatismus. der ihn oft, wie bei der „Braut von Messina“, auf ganz falsche Wege führte. Dass aber erstere ihm durchgängig richtigere zeigt, ist eben ein Beweis für seinen glänzenden Dichterberuf, um so mehr, als es gerade in den Hauptpunkten der Fall ist. So raisonnirt er z. B. bekanntlich: „Was im Gedicht soll leben, muss im Leben untergehen!“ Daraus könnte man nun schliessen – und die Romantiker thaten es sogar –, dass die Poesie hauptsächlich im Vergangenen, Abgestorbenen, in dem, was Geschichte oder Mythe geworden, liege. Sie liegt aber umgekehrt gerade im Lebendigen, wie uns die Werke des Dichters selbst beweisen, die überall da am besten sind, wo sie sich an die unmittelbarsten Interessen seiner Zeit anschliessen, sie schildern; sei es, dass er im „Wallenstein“ die Apotheose des deutschen Soldatenthums, im Helden selbst einen Charakter male, wie ihn das aufsteigende Gestirn Napoleon’s in ihm lebendig werden liess, oder ob er uns im „Tell“ den Kampf eines biedern deutschen Stammes gegen die Fremdherrschaft male, dessen Idee ihm damals nur gar zu nahe lag; ob er sich in den „Räubern“, in „Kabale und Liebe“ gegen den damaligen socialen Zustand seiner Heimat empöre, oder im „Don Carlos“ die Forderungen des Gebildeten an den Staat geltend mache: überall ist seine Poesie im Widerspruch mit der obigen Theorie und ihr gar sehr überlegen. Aber auch überall sind seine dem realen Leben entnommenen oder möglichst angenäherten Figuren besser als die idealen; die letztern, wie Marquis Posa, Verrina, Luise Miller, Thekla u. a. können es nirgends an poetischem Werthe mit den

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/27&oldid=- (Version vom 1.8.2018)