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vervollständigen, der so viele Widersprüche zu höherer Einheit in sich auflöste.

Schiller war allerdings zunächst Dichter, dann aber war er auch sehr entschieden ein Schwabe, und dieser Volksstamm ist bei aller innerer Tüchtigkeit und Begabung, bei aller männlichen Kraft und Entschiedenheit jedenfalls doch vielleicht der am wenigsten umgängliche von allen deutschen Stämmen, er ist der sprödeste, härteste und ungelenkigste, eigensinnigste und unbeugsamste, ja leidenschaftlichste von allen. Diese Eigenschaften waren aber doch wol auch bei unserm Schiller zu treffen: das ganze störrische, stolze und ablehnende Wesen, die Unduldsamkeit, die leidenschaftliche Glut des Hasses wie der Liebe, sie arbeiten mächtig in dieser scheuen und verschlossenen, unbändigen Natur. Die schwäbischen Stammes-Eigenthümlichkeiten sprechen denn auch sehr deutlich aus der trotzig emporgeworfenen Unterlippe, dem breiten, festen Kinn, den starken Backenknochen, den tief ausgearbeiteten Zügen, denen man ausserdem noch das nervöse Wesen des nachtarbeitenden Denkers ansieht, der so geneigt war, den Körper als den blossen Sklaven des Geistes zu behandeln, und deshalb uns so vor der Zeit entrissen ward.

Deshalb ist es auch so erklärlich, dass wir so viele Spuren antreffen, wie des rothhaarigen, blassen, langen und hagern Schiller Persönlichkeit oft eine Mischung von Scheu, Furcht, ja selbst Antipathie erzeugte, die aber in der natürlichen Hoheit seines Wesens wieder ein so mächtiges Gegengewicht fanden, dass sie oft in Verehrung, ja Begeisterung, die indess doch keinerlei Vertraulichkeit erlaubte, umgestimmt wurden.

Und so dürfen wir uns denn immerhin freuen, dass, während wir in Goethe die harmonischste, innerlich und äusserlich am glänzendsten ausgestattete Persönlichkeit besitzen, die je eine moderne Nation in ihren Dichtern erzeugt hat, wir an Schiller das höchste Beispiel sehen, wie der Adel und die Erhabenheit des Geistes jede Form zu adeln vermögen.



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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 4. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/29&oldid=- (Version vom 1.8.2018)