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ihren durchdringenden, energischen Geist mit Unterschätzung der Menschen erfüllen, so musste es noch mehr die Natur des eigenen Sohnes. Sie verachtete in ihm zuerst den Schwächling, den charakterlos hin- und herschwankenden Menschen, der nichts festzuhalten weiss, der weder tief zu hassen noch zu lieben versteht und daher überall falsch wird, wie wir aus ihren Aeusserungen sehen, als sie die Jungfrau gefangen nimmt und von ihr erfährt, dass sie der Dauphin verbannt habe:

Verbannt, weil du vom Abgrund ihn gerettet. . . .
Verbannt! Daran erkenn’ ich meinen Sohn!

Diese wohlmotivirte Verachtung wird denn nach und nach zum glühenden Hass, als dieser Schwächling der ihm an Geistesstärke, Muth und Verstand so unendlich überlegenen Mutter sich zum Herrn und Meister aufwerfen, ihre Sitten richten will, sie in die Verbannung schickt. Da erst in ihrem Innersten beleidigt, bei ihrem leidenschaftlichen, heftigen Temperament vor nichts zurückschaudernd, verflucht sie ihn:

Ihr wisst nicht, schwache Seelen,
Was ein beleidigt Mutterherz vermag.
Ich liebe, wer mir Gutes thut, und hasse,
Wer mich verletzt, und, ist’s der eigne Sohn,
Den ich geboren, desto hassenswerther.
Dem ich das Dasein gab, will ich es rauben,
Wenn er mit ruchlos frechem Uebermuth
Den eignen Schos verletzt, der ihn getragen.
Ihr, die ihr Krieg führt gegen meinen Sohn,
Ihr habt nicht Recht, noch Grund, ihn zu berauben.
Was hat der Dauphin Schweres gegen euch
Verschuldet? Welche Pflichten brach er euch?
Euch treibt die Ehrsucht, der gemeine Neid;
Ich darf ihn hassen: ich hab’ ihn geboren.

Nachdem sie heldenhaft den Muth nicht sinken lässt bis zum letzten Augenblick, nachdem sie nicht verzagt, als alles um sie schon flieht, hat sie, beharrlich in ihrem Hass, wie sie es unter gleichen Umständen ohne Zweifel auch in der Liebe gewesen wäre, nichts

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 275. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/300&oldid=- (Version vom 1.8.2018)