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WILHELM TELL.
(Wilhelm Tell.)


Wol nie hat das Recht des einzelnen freien Mannes wie eines ganzen Volkes sich gegen tyrannische Unterdrückung nicht nur in jedem Falle zu wehren, sondern sie auch bis zur Vernichtung zu bekämpfen, eine so glänzende Vertheidigung gefunden, als im „Tell“. So wenig Spuren der Einwirkung der Zeitverhältnisse in den übrigen spätern Stücken Schiller’s zu finden sind, hier ist sie wol unverkennbar; oder sollte der damals schwer auf Deutschland lastende Druck der Fremdherrschaft, mit ihrem Uebermuth und ihrer Willkür, wirklich ohne Einfluss auf den Gedanken wie die Ausführung des „Tell“ geblieben sein? Ist im „Wallenstein“ schon die Verwandtschaft in der Erscheinung des Helden und seiner Soldatenherrschaft mit dem aufgehenden Gestirn Napoleon’s unverkennbar, so hat diese Beziehung zu den Verhältnissen der Gegenwart beim „Tell“ doch wol in noch viel stärkerm Masse stattgefunden. Jene herrlichen Worte:

Nein, eine Grenze hat Tyrannenmacht.
Wenn der Gedrückte nirgends Recht kann finden.
Wenn unerträglich wird die Last – greift er
Hinauf getrosten Muthes in den Himmel
Und holt herunter seine ew’gen Rechte....
Zum letzten Mittel, wenn kein andres mehr
Verfangen will, ist ihm das Schwert gegeben –

sind seitdem die Losung aller derer geblieben, die noch Mannessinn genug haben, um sich und ihr Recht nicht muthlos unter die Füsse treten zu lassen, sie enthalten die vollständige Apologie der Anschauung, nach der die rohe Gewalt zuletzt, wenn alle friedlichen Mittel erschöpft sind, wieder mit Gewalt zu vertreiben nicht nur erlaubt, sondern auch von der eigenen Menschenwürde entschieden geboten ist.

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 313. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/338&oldid=- (Version vom 1.8.2018)