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der Trieb vorhanden, jede Herausforderung anzunehmen. Gessler beurtheilt ihn daher ganz richtig, wenn er, um ihn zu dem Ungeheuersten zu treiben, ihn erst höhnt und ihm sagt:

Das Schwarze treffen in der Scheibe, das
Kann auch ein andrer; der ist mir der Meister,
Der seiner Kunst gewiss ist überall,
Dem’s Herz nicht in die Hand tritt, noch ins Auge. . . . .
Du kannst ja alles, Tell! An nichts verzagst du;
Das Steuerruder führst du wie den Bogen;
Dich schreckt kein Sturm, wenn es zu retten gilt:
Jetzt, Retter, hilf dir selbst –

gerade so, wie ihn sein eigener Knabe richtig erräth:

Frisch, Vater, zeig’s, dass du ein Schütze bist!
Er glaubt dir’s nicht, er denkt uns zu verderben –
Dem Wüthrich zum Verdrusse schiess und triff!

Ebenso beurtheilt ihn seine Frau, wenn sie von der That äussert:

O rohes Herz der Männer! Wenn ihr Stolz
Beleidigt wird, dann achten sie nichts mehr;
Sie setzen in der blinden Wuth des Spiels
Das Haupt des Kindes und das Herz der Mutter!

Sie fühlt dies scharf heraus, so sehr sie ihn auch liebt. Feigen kommt der Schreck vor dem Wagen, den Beherzten nachher; Tell sinkt daher erst zusammen, als er den Schuss gethan. Diese, langen Vorsätzen und weitaussehenden Projecten so abholde Natur hält aber einen Gedanken, zu dem man sie einmal genöthigt hat, um so zäher fest, wie es Tell thut, da er den Vorsatz zu Gessler’s Mord hier sofort unwiderruflich fasst, von dem ihn selbst die Schiffsscene, wo ein zahmerer Charakter wahrscheinlich auf die Gnade des Gegners gerechnet hätte, nicht abbringt. Die Argumentation, mit der er sich sein Vorhaben während des langen Lauerns in der hohlen Gasse zu rechtfertigen sucht, ist oft angegriffen worden, und doch enthält sie, wenn man sie des rhetorischen Prunks entkleidet, nur Motive, die in der Seele eines kühnen, verwegenen, aufs schwerste gereizten, neues Unheil fürchtenden Mannes, dessen Streit ein ganz

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 315. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/340&oldid=- (Version vom 1.8.2018)