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persönlicher ist, vollkommen Platz haben. Er fühlt, dass sein Gegner dadurch, dass er ihn das erste mal in die Möglichkeit eines Mordes durch physischen und moralischen Zwang brachte, ihn mit Gewalt zum zweiten nöthigt, denn:

Die armen Kindlein, die unschuldigen,
Das treue Weib muss ich vor deiner Wuth
Beschützen, Landvogt! – Da, als ich den Bogenstrang
Anzog – als mir die Hand erzitterte –
Als du mit grausam teufelischer Lust
Mich zwangst, aufs Haupt des Kindes anzulegen –
Als ich unmächtig flehend rang vor dir:
Damals gelobt’ ich mir in meinem Innern
Mit furchtbarem Eidschwur, den nur Gott gehört,
Dass meines nächsten Schusses erstes Ziel
Dein Herz sein sollte!

Tell ist zu sehr Heldennatur, als dass ihm seine Phantasie den Gedanken an Flucht, an Versteck, an andere Mittel als den Kampf, um sich der Rache zu entziehen, auch nur in den Sinn kommen liesse. Dieser Auffassung als einer Nothwehr bleibt er daher ganz consequent, wenn er dem Parricida entgegenhält:

Darfst du der Ehrsucht blut’ge Schuld vermengen
Mit der gerechten Nothwehr eines Vaters?
Hast du der Kinder liebes Haupt vertheidigt?
Des Herdes Heiligthum beschützt? . . . .
Nichts theil’ ich mit dir. – Gemordet
Hast du, ich hab’ mein Theuerstes vertheidigt.

Wenn man die That Tell’s richtig beurtheilen will, so hat man immer die Zeit zu betrachten, in der sie geschah, die des rohen Faustrechts, wo jedermann mit dem Gedanken vertraut war, Gewalt mit Gewalt abzutreiben; die persönlichen Motive, so durchaus vorherrschend in seinem Mord, sind doch unter diesen Umständen ausreichend, und er sagt mit gerechtem Stolz:

 Diese Hand –
Hat euch vertheidigt und das Land gerettet:
Ich darf sie frei hinauf zum Himmel heben.



Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 316. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/341&oldid=- (Version vom 1.8.2018)