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Zu schiffen in dem wüth’gen See! Das heisst
Nicht Gott vertrauen! Das heisst Gott versuchen! . . . .
Ja, du hist gut und hülfreich, dienest allen,
Und wenn du selbst in Noth kommst, hilft dir keiner.

Ist das nicht echt hausfraulich gedacht? Der weiblichen Natur wird alles Allgemeine nur begreiflich, wenn sie sich es persönlich zu machen vermag; die Liebe erst macht ihr die Aufopferung verständlich und so sieht sie dieselbe auch blos bei ihrem Mann, während ihr die andern neben ihm egoistisch und beschränkt vorkommen. Wenn die Furcht die Lust am Wagniss nicht begreift, so hat sie dagegen desto schärfere Augen für die Gefahr. Mit welchem Scharfsinn erräth sie den Zorn des Landvogts, als ihr Tell erzählt, wie ihm derselbe im Gebirge begegnet sei und sich vor ihm gefürchtet habe:

Er hat vor dir gezittert? – Wehe dir!
Dass du ihn schwach gesehn, vergibt er nie.

Ganz Frauenart ist es auch, dass sie wol sich erlaubt, über den geliebten Mann zu schmählen, sein Thun zu schelten:

Den Pfeil abdrücken auf sein eignes Kind! –
O, hätt’ er eines Vaters Herz, eh’ er’s
Gethan, er wäre tausendmal gestorben! . . . .
Und lebt’ ich achtzig Jahr – ich seh’ den Knaben ewig
Gebunden stehn, den Vater auf ihn zielen,
Und ewig fliegt der Pfeil mir in das Herz.

und doch, sowie ihr jemand den Mangel an Mitgefühl für ihn vorwirft, rasend auffährt und mit vernichtendem Hohn dem Baumgarten und den andern entgegen wirft:

Hast du nur Thränen für des Freundes Unglück?
– Wo waret ihr, da man den Trefflichen
In Bande schlug? Wo war da eure Hülfe? . . . .
 Hat der Tell
Auch so an euch gehandelt?

Jetzt erst kommt sie ganz zum Bewusstsein ihres Verlustes und Schmerzes, die Leidenschaft macht sie beredt und schärft ihr den Blick, während sie eben noch über ihn gescholten, zeigt sie fortfahrend auf einmal, dass sie wohl weiss, was sie und alle an ihm hatten:

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 323. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/348&oldid=- (Version vom 1.8.2018)