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Turandot’s Verlangen, das ihm zunächst als Caprice erscheint, bis ihm die Liebe das Verständniss dafür öffnet:

Und lebt ein solcher Thor, der seinen Kopf
Wagt, um ein Ungeheuer zu besitzen! . . . .
Was konnte die Natur ein weibliches
Geschöpf wie diese Turandot erzeugen,
So ganz an Liebe leer und Menschlichkeit?! . . . .
Zur Hölle, in den tiefsten Schlund hinab
Mit diesen Ungeheuern der Natur,
Die kalt und herzlos nur sich selber lieben!

Er lacht über die Möglichkeit, sich in sie zu verlieben, als ihn Barak von Betrachtung ihres Bildnisses abhalten will:

Du bist nicht klug. Wenn du so schwach dich fühlst,
Ich bin es nicht. Des Weibes Reiz hat nie
Mein Aug’ gerührt, auch nur auf Augenblicke,
Viel weniger mein Herz besiegt. Und, was
Lebend’ge Schönheit nie bei mir vermocht,
Das sollten todte Pinselstriche wirken?
Unnütze Sorgfalt, Barak. – Mir liegt andres
Am Herzen, als der Liebe Narrenspiel.

Es gibt ganze grosse Bezirke des Empfindens wie des Denkens, die lange, lange unsern Herzen oder unserer Fassungskraft fern liegen, deren Verständniss uns ganz verschlossen bleiben und uns durch irgendeine besondere Veranlassung doch auf einmal aufgehen kann, und die dann, indem sie uns den Einblick in eine ungeahnte Welt eröffnen, nur eine um so überraschendere Wirkung auf uns ausüben.

So geht es Kalaf mit der Liebe und den Frauen. Er verachtete sie, weil er die himmlische Macht der Vereinigung der Schönheit und des Geistes in einzelnen von ihnen noch nicht kennen gelernt, diese Eigenschaften bei ihnen immer nur getrennt gefunden hat. Hätte er aber Turandot nicht eben noch verabscheut, so würde ihr Bild keinen so bezaubernden Eindruck auf ihn machen. Gerade weil er über sie so hart urtheilt, weil er noch keine Ahnung von dem Glücke hat, welches der Besitz eines edeln Frauenherzens dem Manne gewähren kann, so ergreift es ihn jetzt um so heftiger, da ihn der erste Schauer dieser Seligkeit durchrieselt.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/396&oldid=- (Version vom 1.8.2018)