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So wie uns die reizende Unbekannte angemeldet wird, erst als Freundin oder Geliebte des räthselhaften Armeniers, der die Hauptintriguanten-Rolle spielt, angeblich auch sofort das Herz des Marchese Civitella entzündend, dann als ziemlich absichtlich zum Verkauf gemalte Madonna und endlich als schöne Beterin oder Büsserin in der Kapelle – alles das macht sie verdächtig genug, im Einverständniss mit dem Armenier dem Cardinal und Marchese die schwierige Bekehrungsgeschichte beim Prinzen durch ihre Unterstützung zu erleichtern. Nichtsdestoweniger lässt sie Schiller erbarmungslos dem Prinzen weg sterben, was schöne Sünderinnen nicht zu thun pflegen, blos um der Rolle mehr Nachdruck zu geben. Schreibt doch des Prinzen Begleiter von ihrem Tode in der Gegenwart des Prinzen: „Die zehn Tage, dass sie krank war, kam kein Schlaf in seine Augen. Ich war bei der Leichenöffnung. Man fand Spuren von Vergiftung. Heute wird man sie begraben.“ Sie war also keine Betrügerin, sie hat den Prinzen wirklich geliebt, ist Freundin oder am Ende gar die Tochter des Armeniers gewesen, da uns nur von ihrer vornehmen deutschen Mutter gesprochen wird, während die Nachstellungen einer hohen Person sie nach Venedig ins Versteck trieben.

Die Aufklärung dieses Räthsels ist uns Schiller mit dem zweiten Theile des „Geisterseher“ schuldig geblieben, wahrscheinlich weil sie ihm selber nicht mehr recht die Mühe zu lohnen schien oder zu schwierig wurde; denn, aufrichtig gestanden, macht uns das ganze Buch den Eindruck, als ob kein vollkommen bestimmter Plan der Fabel dem Autor bei dessen Abfassung vorgeschwebt habe und er sich auf Festhaltung des Ziels, die Conversion des Prinzen, beschränkt, das Uebrige aber dem Zufall und der Laune überlassend, der Inspiration, die ihm das Detail an die Hand zu geben habe, und die ihm denn auch in unserer Griechin eine liebenswürdige, deutsch sentimentale Figur geschenkt hat, der wir gern eine grössere Ausführung geschenkt gesehen hätten. So wie sie jetzt ist, passt ihr Ende nicht zum ersten Auftreten, um so mehr, als wir aus dem Briefwechsel Schiller’s mit Lotte sehen, dass Schiller sie sich anfangs wirklich

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 394. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/419&oldid=- (Version vom 1.8.2018)