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KARL MOOR.
(Die Räuber.)


Unsere eigene Natur ist der Zettel, die Welt der Einschlag, die zusammen erst das Gewebe des ganzen Menschen bilden. Die fertige Persönlichkeit ist nicht blos das Product der angeborenen geistigen Anlage und Empfindungsweise, sie ist auch das der ihr im Laufe des Lebens entgegentretenden Erfahrungen, der Einwirkungen der Aussenwelt, die jene entwickeln, aber auch umformen, und mit jenen zusammen erst einen Charakter bilden. Gerade die reichsten Naturen müssen durch den unvermeidlichen Contact mit dem Leben um so mehr umgebildet werden, je mannichfaltiger sich dieses gestaltet, und es ist vollkommen unrichtig, wenn man von einem begabten Menschen erwartet, dass er im funfzigsten Jahre derselbe sein soll wie im achtzehnten, wo sein Leben meist noch ein unbeschriebenes Blatt Papier war, dem die Erfahrung erst die mannichfaltigste Färbung geben, es arm und dunkel oder glänzend und reich erscheinen lassen kann. Es sind daher diejenigen, bei denen diese Einwirkung der Aussenwelt eine geringe Veränderung hervorbringt, und denen man daher vorzugsweise das Prädicat von „Charakteren“ zu geben liebt, in der Regel entweder arme Naturen, oder ihr Leben war arm.

Letzteres ist aber bei einer so reich begabten Künstlerseele, wie die Schiller’s war, geradezu ein Ding der Unmöglichkeit, da eine solche allemal das ganze Leben ihrer Zeit mitlebt, in sich aufnimmt und widerspiegelt, wie ein Diamant den kleinsten Lichtstrahl auffasst und tausendfältig bricht, während eine Welt voll Sonnenlicht dem Kiesel keinen Glanz verleihen kann. Wenn die Reibung des äussern Lebens aber den Edelstein immermehr zu seinem rechten Werthe bringt, ihn immer strahlender macht, so vermag sie den Kiesel nicht zu ändern; sie

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/42&oldid=- (Version vom 1.8.2018)