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blos als Köder gedacht hatte, der die protestantische Fliege in das katholische Netz zu locken bestimmt war.

Ohne uns mit der Lösung der Räthsel abzuquälen, die sich an die Erzählung, wie sie vorliegt, knüpfen, oder den Spuren nachzugehen, woher Schiller den Stoff habe, was wir füglich gründlichern Forschern überlassen dürfen, so wollen wir doch noch einen Blick auf die halbvollendete Novelle werfen, da sie der einzige nicht dramatisch behandelte Vorwurf ist von sämmtlichen Werken, die unsere Illustrationen behandeln. Vielleicht tritt gerade in dieser erzählenden Form die so vorzugsweise Begabung des Dichters zum Drama nur um so auffallender heraus, wenn man sie mit andern gleichzeitigen Werken der Art vergleicht. Es entwickelt sich eigentlich auch hier alles dramatisch, wie selbst in den beiden Geschichtswerken, wo auch die vor unsern Augen sich abspinnenden Begebenheiten bei weitem das Interessanteste sind. Das Drama, die Schritt für Schritt stetig weitergehende Entwickelung der Charaktere aus den Begebenheiten und umgekehrt, in welcher jeder neue Satz einen neuen Fortschritt bedingt, es war so sehr der Charakter der Schiller’schen Production, dass er ihn nirgends zu verleugnen im Stande ist.

Die Spannung verlässt uns deshalb keinen Augenblick; es ist keine Spur von den zahlreichen Episoden, von jenem episch in die Breite verfliessenden Wesen zu finden, in dem sich der Goethe’sche Roman so behaglich ergeht; sondern wir bleiben immer dicht bei der Hauptsache, alle Nebendinge werden in Bezug mit ihr gebracht und erhalten nur knapp so viel Aufmerksamkeit, als das Klarmachen dieses Bezugs eben fordert. Die Personen reden nie, wie bei Goethe, um kluge und schöne Bemerkungen zu machen, eine Fülle von heiterer Weisheit und tiefem Geist zu entwickeln, die aber am Ende ebenso gut wo anders Platz finden könnten: sie sprechen blos, um die Handlung weiter zu bringen und sich selbst zu zeichnen, sowie die Veränderung, die mit ihnen vorgeht. In dieser Beziehung ist besonders die Figur des Prinzen ein dramatisches Meisterstück und ganz ungleich der Goethe’schen Art, wo die Figuren meist gleich fertig auftreten

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/420&oldid=- (Version vom 1.8.2018)