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LEONORE.
(Die Verschwörung des Fiesco.)


Wenn wir nicht leugnen können, dass die Gestalten des „Fiesco“ fast alle noch etwas Uebertriebenes haben, noch die Ueberschwenglichkeit der Jugend aussprechen, ja gelegentlich sogar ihre Masslosigkeit und Roheit, so trifft dieser Vorwurf doch am wenigsten die Gräfin Lavagna, in der es dem jugendlichen Dichter zum ersten male gelang, eine weibliche Figur zu zeichnen, welche die wärmste Theilnahme weckt. Es ist ein süsses, sanftes und doch leidenschaftliches Geschöpf, die ganz ihrer Zärtlichkeit lebt, die selbst im höchsten Schmerz noch flieht, weil sie fürchtet, dass der Anblick ihrer Trauer dem geliebten Manne einen trüben Augenblick machen könnte. Fiesco war ihre erste Liebe, ihr ganzer Himmel ruht in ihm, sie wiegte sich fortwährend in dem Triumph, ihn erobert zu haben:

Ein blühender Apoll, verschmolzen in den männlich schönen Antinous. Stolz und herrlich trat er daher, nicht anders, als wenn das durchlauchtige Genua auf seinen jungen Schultern sich wiegte. . . . Ach, Bella! wie verschlangen wir seine Blicke! wie parteiisch zählte sie der ängstliche Neid der Nachbarin zu! Sie fielen unter uns wie der Goldapfel des Zanks, zärtliche Augen brannten wilder, sanfte Busen pochten stürmischer, Eifersucht hatte unsere Eintracht zerrissen.
Und nun mein ihn zu nennen! verwegenes, entsetzliches Glück! Mein Genuas grössten Mann, der vollendet sprang aus dem Meissel der unerschöpflichen Künstlerin, alle Grössen seines Geschlechts im lieblichsten Schmelze verband –

und jetzt ein halbes Jahr kaum vermählt, muss sie schon an die Möglichkeit denken, dieses unschätzbare Gut, diesen ihren höchsten Reichthum zu verlieren; in ihrem eigenen Hause sieht sie den Mann ihres Herzens im Spiel leichtfertiger Galanterie mit einer andern, sie mit Aufmerksamkeiten überhäufend, deren Gewicht ihre Eifersucht um das zehnfache vergrössert! Wie die Welt ihre Sittenstrenge und das

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Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 49. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/74&oldid=- (Version vom 1.8.2018)