Seite:Schiller-Galerie.pdf/99

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

erfahrene Feuerkopf nicht künstlerisch genug durcharbeiten konnte, als in der Auffassung der Verhältnisse im grossen, die so eminent richtig ist, wie die Umrisse der Personen lebendig; nur der Mangel des feinern Details ist es, das uns die letztern so ungeheuerlich erscheinen lässt, daher sind die Nebenfiguren, die dieses Details weniger bedürfen: der Geiger mit seiner lebhaften Musikantennatur, die dumm geschwätzige Mutter so meisterhaft gerathen, weil hier die Skizzirung genügte.

Die eigentümliche Hoheit des Sinnes aber, die überall aus dem Dichter spricht, versöhnt uns selbst mit den obenerwähnten Mängeln, um so mehr, als sie echt nationale sind, uns die schwäbische Stammeseigenthümlichkeit Schiller’s stärker als irgend sonstwo in seinen Werken zeigen. So wortkarg und kurz angebunden der Schwabe auch ist, so leicht findet er, einmal gereizt und genöthigt sich zusammenzunehmen, eine gewisse nervige Beredsamkeit. Dieses Element von fanatischer, schwärmerischer, rücksichtsloser Leidenschaft in dem schwäbischen Naturell nicht minder als den starren Eigensinn desselben hat uns der Dichter in seinem Ferdinand ganz vortrefflich geschildert; so oft uns dieses jungen Mannes studentenhafter Schwulst revoltirt, müssen wir uns doch sagen, dass er um so mehr echt charakteristisch ist, als keine Hohlheit dahinter verborgen liegt, sondern die ganze unbändige Glut und Nachhaltigkeit eines Jünglings von tiefer und schwer zugänglicher Empfindung.

Dasselbe verzehrende Feuer, welches er seinem Ferdinand eingoss, durchströmte den Dichter selbst, wie wir leicht aus seinen einzelnen auf uns gekommenen Jugendbriefen ersehen können, wo uns eine Ueberfülle heisser Leidenschaft entgegentritt, die bei jeder Gelegenheit alle Schranken durchbricht. Hat Goethe in seinem Tasso, Werther, im Clavigo, im Weisslingen sogar einzelne Seiten seines Charakters niedergelegt, so hat dies Schiller beim Ferdinand sicher nicht minder gethan. In dieser Natur, den sanftesten und weichsten Regungen so zugänglich und im nächsten Augenblicke wieder aufblitzend wie Pulver, in diesen unbewusst glühenden Sinnen und dieser Reinheit des Herzens, in der ganzen Empfindungsart, der Unmöglichkeit, von irgendeiner

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Pecht: Schiller-Galerie. F. A. Brockhaus, Leipzig 1859, Seite 74. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller-Galerie.pdf/99&oldid=- (Version vom 1.8.2018)