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als diese scherzend zu ihr sagte: wir sind hier am Ende der Welt und das Wetter ist abscheulich, sollte er uns wohl hier finden können? Im Augenblick ließ er sich hören, stärker und fürchterlicher als jemals. Die Freundin glaubte nicht anders als die Hölle sey im Zimmer, sprang aus dem Bette, lief wie sie war, die Treppe hinunter und rief das ganze Haus zusammen. Niemand that diese Nacht ein Auge zu. Allein es war auch das letztemal daß sich der Ton hören ließ, nur hatte der ungebetene Gast noch eine andere lästigere Weise seine Gegenwart anzuzeigen.

Einige Zeit hatte er Ruhe gehalten als auf einmal Abends zur gewöhnlichen Stunde, da sie mit ihrer Gesellschaft zu Tische saß, ein Schuß, wie aus einer Flinte oder stark geladenen Pistole, zum Fenster herein fiel. Alle hörten den Knall, alle sahen das Feuer, aber bey näherer Untersuchung fand man die Scheibe ohne die mindeste Verletzung. Demohngeachtet nahm die Gesellschaft den Vorfall sehr ernsthaft und alle glaubten, daß man der Schönen nach dem Leben stehe. Man eilt nach der Polizey, man untersucht die benachbarten Häuser und da man nichts verdächtiges findet, stellt man darin den andern Tag Schildwachen von oben bis unten. Man durchsucht genau das Haus worinn sie wohnt, man vertheilt Spione auf der Straße.

Alle diese Vorsicht war vergebens. Drey Monate hinter einander fiel in demselbigen Augenblicke der Schuß durch dieselbe Fensterscheibe, ohne das Glas zu verletzen, und, was merkwürdig war, immer genau eine Stunde vor Mitternacht, da doch gewöhnlich in Neapel nach der

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 2-12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_1-1795.pdf/128&oldid=- (Version vom 1.8.2018)