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italienischen Uhr gezählt wird und Mitternacht daselbst eigentlich keine Epoke macht.

Man gewöhnte sich endlich an diese Erscheinung wie an die vorige, und man rechnete dem Geiste seine unschädliche Tücke nicht hoch an. Der Schuß fiel manchmal ohne die Gesellschaft zu erschrecken, oder sie in ihrem Gespräch zu unterbrechen.

Eines Abends, nach einem sehr warmen Tage, öffnete die Schöne, ohne an die Stunde zu denken, das bewußte Fenster und trat mit dem Markese auf den Balkon. Kaum standen sie einige Minuten draussen, als der Schuß zwischen ihnen beyden durchfiel und sie mit Gewalt rückwärts in das Zimmer schleuderte, wo sie ohnmächtig auf den Boden taumelten. Als sie sich wieder erhohlt hatten, fühlte er auf der linken, sie aber auf der rechten Wange den Schmerz einer tüchtigen Ohrfeige und da man sich weiter nicht verletzt fand, gab der Vorfall zu mancherley scherzhaften Bemerkungen Anlaß.

Von der Zeit an ließ sich dieser Schall im Hause nicht wieder hören und sie glaubte nun endlich ganz von ihrem unsichtbaren Verfolger befreyt zu seyn, als auf einem Wege, den sie Abends mit einer Freundin machte, ein unvermuthetes Abentheuer sie nochmals auf das gewaltsamste erschreckte. Ihr Weg ging durch die Chiaia, wo ehemals der geliebte genuesische Freund gewohnt hatte. Es war heller Mondschein. Eine Dame, die bey ihr saß, fragte: ist das nicht das Haus, in welchem der Herr * gestorben ist? Es ist eins von diesen beyden, so viel ich weiß, sagte die Schöne, und in dem Augenblicke fiel aus

Empfohlene Zitierweise:
Johann Wolfgang von Goethe: Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten. In: Die Horen 1795, Band 1–4. Cotta, Tübingen 1795, Seite 2-13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Schiller_Die_Horen_1-1795.pdf/129&oldid=- (Version vom 1.8.2018)